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Science Fiction

13.Kapitel -Der Drift-

© David Scholtissek

Es ist spät. Oder ehr früh. Zwanzig nach Drei. Das Wetter ist umgeschlagen und es nieselt. Ich habe nur eine leichte Sommerjacke mit, die die Feuchtigkeit langsam durchdringt.

Hendrik hat mich auf eine Spur gesetzt, dadurch habe ich bekommen was ich gesucht habe. In meinem Kopf kreisen die verschiedenen Aspekte, die meinen Geist erklären sollen. Doch die Erklärung, die mich nicht loslässt, ist die der nicht manifestierten Realität. Wenn das so ist, ist mein Geist tatsächlich nur ein Traum. Zwar ein möglicher Traum, aber eben nur ein Traum. Weshalb habe ich mich gegen ihn entschieden? Wegen Aurora? Kann ich überhaupt für oder gegen etwas entscheiden, wenn ich keine bewusste Erinnerung an die Ereignisse habe? Ich habe von ihr geträumt, also erinnert sich irgendetwas in mir!

Ich liebe Aurora, gewiss. Ich könnte mein Leben mit ihr verbringen.

Doch ich fühle die Leere in mir. Mein Geist ist es den ich vermisse.

Ich bin Zuhause. Das von Aurora und mir, unser Heim. Ich bin zu ihr gezogen, wenige Wochen nachdem wir uns während der Fahrt im Zug nähergekommen waren. Keine Ahnung was mich damals umtrieben hat, sie auf einen Kaffee in Bad Münder einzuladen. Es hat sofort gefunkt zwischen uns. Wir mussten mit dem Bus nach Hameln zurück. Die Strecke war gesperrt. Unser Zug mit dem wir eigentlich bis nach Hameln fahren sollten, wurde durch eine Explosion im Hamelner Bahnhof teilweise zerstört. Wie sich nachher herausstellte, hatte jemand eine Propanflasche zwischen Bahnsteig und Gleise deponiert. Die Zugmaschine schlug das Ventil leck und irgendein Funke brachte die Flasche zur Explosion. Es war ziemlich übel. Es gab Tote. Als wir davon auf der Heimfahrt hörten, waren Aurora und ich ziemlich geschockt. Keiner von uns beiden wollte diese Nacht allein bleiben. Uns wurde nur nach und nach bewusst, wieviel Glück wir eigentlich gehabt hatten.

Aurora schaut vom Sessel aus zu mir, als ich die Wohnungstür öffne. Sie hat ihre Beine zu sich auf die Sitzfläche gezogen und sich in eine Decke eingewickelt. Wie in einem Kokon. Vor ihr auf dem Tisch steht ein leeres Weinglas und ihre Augen sind gerötet.

„Verliere ich dich?“

Das saß! Keine Vorwürfe, keine Szene. Nur eine einfache Frage. Ich versuche die Frage ehrlich zu beantworten und überlege sekundenlang.

„Nein, warum? Ich war doch nur bei Hendrik. Wir redeten.“

„Ich weiß. Das meine ich auch nicht.“

Sie mustert mich durchdringend.

„Ich rede von dem Schatten.“

Eine Facette ihrer Persönlichkeit, ist ihre Intelligenz. Ich vermeide ihren Blickkontakt.

„Aurora, ich …“

„Nein, warte, sag nichts.“

Sie steht auf, schlägt die Decke achtlos zur Seite. Bedächtig, fast vorsichtig, auf nackten Füssen, kommt sie zu mir. Ihre Arme legen sich um mich, die Hände finden sich in meinem Nacken, streichen durch mein Haar. Sie stellt sich auf die Zehenspitzen und zieht sich heran zu meinem Gesicht. Betrachtet mich, neigt ihren Kopf ganz nah an mein Ohr und flüstert mir zu:

„Laurent, was suchst du?“

„Nicht…“

„Was muss ich tun?“

Was immer ich noch sagen will, Aurora versiegelt meinen Mund.

*

Gleichmäßig bewegt sich ihr Oberkörper auf und ab.

Ruhig, jetzt.

Auroras dunkler Teint verschmilzt mit der Nacht. Mit meinem Blick taste ich ihre Silhouette ab. Mehr aus meiner Erinnerung denn mit meinem Sehvermögen. Ich weiß um ihre Empfänglichkeit meiner Zuwendungen. Ihr schwacher Duft nach Wildblumen wird vom schweren Geruch des Schweißes fast vollständig überdeckt.

Sie schläft. Ich frage mich, ob die Ruhe von Erschöpfung oder einem Gefühl der Sicherheit rührt.

Einerlei, mich haben die Ereignisse in eine Entscheidung gedrängt. Mein Blick lässt von Aurora ab und wandert zur Zimmerdecke.

Ich schließe die Augen. Verdränge die Präsenz meines Körpers. Bereite mich vor.

Keine Unsicherheit, kein Zögern mehr.

Mein Geist greift aus, in die Nacht, sucht den Kontakt zu ihr.

Ich orientiere mich an dem Licht. Kein sehr helles Licht. Eher gelblich, warm, anziehend. Es ist ihr Licht. Ich suche die eine Rose in der Wüste. Wie im Traum formt sich ihr Bild vor meinem inneren Auge.

Ich zeichne die Linie ihres Profils. Gieße die Farben, die Schatten, fülle die Seele. Ihre Augen funkeln, übermächtig.

Sie ist irgendwo dort draußen! Mein ganzes Dasein, mein ganzer Wille, all meine Macht werfe ich in die Waagschale.

Das Bild bekommt Tiefe. Weiche pastellfarbene Kleckse blühen um ihr Bild auf. Fließende Konturen rahmen die Farbpunkte. Dann kräftigen sich die Farben, prägen Formen. Details werden erkennbar. Gegenstände platzieren sich neben ihr. Stühle, ein Tisch, Bilder, Bücher, Regale, Trinkgläser, eine Flasche und eine weitere Person. Dann plötzlich, Bewegung!

Ich sehe ihr Gesicht. Kein Traum, sie reagiert auf mich. Erschrecken spiegelt sich auf ihrem Antlitz. Ihre Hände greifen nach mir.

Sie stößt ein Glas um, es fällt in Zeitlupe. Dann ist sie heran, presst ihre Stirn gegen meine. Ihre Hände halten mein Gesicht. Endlich!

Sie spricht, ich höre ihre Stimme, verstehe aber den Sinn der Worte nicht. Die andere Frau ist aufgesprungen, auch ihr Stuhl fällt unglaublich langsam nach hinten.

Ihre Tränen benetzen mein Gesicht. Sie schreit jetzt, schreit in mein Gesicht. Ich spüre ihre Angst.

„Nicht.“

Ich taste mit meinen Fingern nach ihren Wangen. Streiche durch die Nässe.

„Nicht.“ Kaum mehr als ein Flüstern. Es ist unglaublich anstrengend. An der Wand wechselt die Farbe eines Bildes von Gelb nach rot.

Ich nehme ihren Duft auf, fahre durch ihr Haar. So vertraut, so einzigartig, intensiv.

„Finde mich.“

Ihre Augen leuchten. Wieder bewegen sich ihre Lippen, ohne Verstehen.

„Finde mich.“

Einrichtungsgegenstände werden unscharf, verschwimmen. Die Farben verlaufen.

Einer Eingebung folgend gebe ich ihr noch mit:

„Das Glück der Rose.“

Die Plastizität nimmt ab, das Bild friert ein. Meine Kräfte schwinden.

Es ist vorbei.

-KAPITEL 12-                 -Epilog-

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