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Science Fiction

2.Kapitel -Visionen-

© David Scholtissek

Die Anmut wird in Stücke zerrissen. Die Unterlagen der gelben Mappe wirbeln umher. Die Mappe selbst verwandelt sich in gelbe Flammen, die über die Hände an dem Oberkörper der jungen Frau hinaufzüngeln. Das Gesicht, das sich mir zuwendet, lächelt mich an. Die Flammen wandeln ihre Farbe in Karminrot, umrahmen ihr Gesicht. Dann verschwinden die Flammen und rotes Blut tränkt die Stellen des Körpers, die eben noch von Flammen umhüllt waren. Das Lächeln ist aus dem Gesicht gewischt und Erstaunen, Entsetzen und Angst entstellen die ebenmäßigen Gesichtszüge.

Wie ein Brausen, das immer weiter anwächst, zu einem Donnergrollen, um in das Brummen des Weckers überzugehen, zerplatzt der Alptraum an der Wirklichkeit. Schwer atmend öffne ich die Augen.

Nacht für Nacht zerren mich Alpträume in immer neue Varianten zurück an den Tag vor einem Jahr. Die Wunden sind längst vernarbt. Die Seele aber blutet weiter.

Die Füße aus dem Bett schiebend, setze ich sie vorsichtig auf den Boden. Kalt, gut, real! Ich knete die Schulter. Eine Angewohnheit, mechanisch. Vom Bett abstoßend bewege ich mich in Richtung Badezimmer. Das kalte Licht von der Baddecke zeichnet scharfe Schatten in den Raum. Mein Gesicht im Spiegel blickt mir mit dunklen Rändern und harten Kanten entgegen.

Dann schreit sie. Die Schatten fressen das Gesicht im Spiegel. Die Welt verschwindet, taucht in Rauch und Feuer und der Schrei gellt weiter in meinen Ohren. Will nicht enden. Gelbe und rote Flammen um mich herum.

Plötzlich Stille. Der Anrufbeantworter springt an und das Schrillen des Telefons verstummt.

Ich knie am Boden und ziehe mich mühsam am Beckenrand in die Höhe.

Als die Bandansage endet, vernehme ich die Stimme meines Therapeuten, der in hastigen Worten die heutige Sitzung absagt und auf nächste Woche verschiebt. Mir wird klar, dass ich den Tag, die Woche ohne Unterstützung rumkriegen muss. Kaltes Wasser hilft mir, ganz ins Jetzt zu kommen. Für Kaffee und Nahrung muss ich in den nächsten Shop. Also ziehe ich mich an und hoffe, dass mich keine weitere Vision erwischt. Als ich mir das Shirt überstreife, kann ich die Sonne über den Dächern aufgehen sehen. Flammendes Orange kippt ins Blutrote, ein Rechteck formt sich aus dem Sonnenkreis. Ich greife nach dem Fensterbrett. Greife zu, um den Halt nicht wieder zu verlieren, weder den physischen noch den psychischen. Dann reiße ich mich los und wende mich ab. Ich nehme die Schlüssel und fliehe aus der Wohnung.

*

Es ist früh und ich laufe durch die Stadt ohne Ziel. Ein Plakat preist ein herzstärkendes Mittel an. Das Bild eines lächelnden, älteren Mannes, mit einem mitten auf die Brust projizierten Herzens. Warum nicht links? Ich laufe an Schaufensterläden vorbei, mit Dingen, die ich nicht wahrnehme. Die ersten Menschen eilen zu ihrer Arbeit. Das sind die Menschen mit den niedrigen Einkommen, den härteren Jobs. In ein paar Stunden folgen die Besserverdienenden.

Ich arbeite nicht mehr, sinnlos. Eine Zeitlang half es mir. Ich konnte mich durch die Konzentration ablenken. Es drängte die Visionen zurück. Doch dann wurde es schlimmer. Jetzt rette ich mich von Sitzung zu Sitzung.

Diesmal nicht. Keine Sitzung. Ich bleibe stehen und mir wird bewusst was das bedeutet. Einige wenige Leute gehen an mir vorbei. Ich stehe fest. Ich stecke fest. Wie ein Fremdkörper in einer Welt, in die ich nicht gehöre. Panik steigt in mir auf. Ich suche nach einem Halt. Ich fange an mich zu drehen. Sehe mein Spiegelbild sich in den Schaufenstern wenden. In irgendeiner Spiegelung blitzt ein Licht auf. Das ist sie! Die Silhouette, das Gesicht. Das muss die Frau aus dem Zug sein. Jede Nacht sehe ich sie. Jedes Mal, wenn ich die Augen schließe. Nur ein weiteres Trugbild! Ich knicke ein. Eine weitere Vision. Ich schließe die Augen und presse die Hände auf die Ohren, obwohl ich weiß, dass es nichts nützen wird.

„Geht es Ihnen nicht gut? Kann ich helfen?“

Langsam sinkt mein Kopf in Richtung meiner Knie am Boden.

„Können Sie mich hören?“

Etwas berührt meine Schulter, nein Jemand.

„Können sie mich hören?“

Ich reiße meine Augen auf. Das ist sie! Nein, unmöglich! Ich suche Differenzen in ihrem Aussehen. Ich nehme meine Hände vom Kopf und versuche ihre Hände zu greifen. Die Angst in ihrem Gesicht, wie im Traum, meinem Alptraum. Sie muss die Antworten kennen! Gleich müssen die Flammen kommen. Ich schrecke zurück. Weitere Gesichter drängen sich in meine Wahrnehmung. Hände greifen nach mir, richten mich auf und fragen nach meinem Befinden. Sie wird zurückgedrängt. Ich versuche sie nicht in der anwachsenden Menge zu verlieren. Ein energisches Händepaar zwingt mein Gesicht, meinen Blick in ein fremdes Augenpaar.

„Sehen Sie mich an, ich bin Arzt! Können Sie mich verstehen?“

Ich suche ihr Abbild, vergebens. Mein Blick wird erneut in das fremde Gesicht gezwängt.

„Verstehen Sie mich? Verstehen Sie meine Sprache?“

„Ja, kann ich.“

„Geht es Ihnen wieder gut? Nehmen Sie Medikamente?“

„Ich bin in Behandlung. Nur ein kleiner Schwächeanfall. Alles wieder in Ordnung.“

Sie ist weg.

„Sind Sie sicher? Besser Sie gehen zu Ihrem Arzt oder in ein Krankenhaus.“

War sie jemals da?

„Nein, alles in Ordnung, es geht mir wieder gut. Ich gehe zu meinem Arzt.“

-Kapitel 1-                    -Kapitel 3-

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