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Science Fiction

2.Kapitel -Visionen-

© David Scholtissek

Die Anmut wird in Stücke zerrissen. Die Unterlagen der gelben Mappe wirbeln umher. Die Mappe selbst verwandelt sich in gelbe Flammen, die über die Hände an dem Oberkörper der jungen Frau hinaufzüngeln. Das Gesicht, das sich mir zuwendet, lächelt mich an. Die Flammen wandeln ihre Farbe in Karminrot, umrahmen ihr Gesicht. Dann verschwinden die Flammen und rotes Blut tränkt die Stellen des Körpers, die eben noch von Flammen umhüllt waren. Das Lächeln ist aus dem Gesicht gewischt und Erstaunen, Entsetzen und Angst entstellen die ebenmäßigen Gesichtszüge.

Wie ein Brausen, das immer weiter anwächst, zu einem Donnergrollen, um in das Brummen des Weckers überzugehen, zerplatzt der Alptraum an der Wirklichkeit. Schwer atmend öffne ich die Augen.

Nacht für Nacht zerren mich Alpträume in immer neue Varianten zurück an den Tag vor einem Jahr. Die Wunden sind längst vernarbt. Die Seele aber blutet weiter.

Die Füße aus dem Bett schiebend, setze ich sie vorsichtig auf den Boden. Kalt, gut, real! Ich knete die Schulter. Eine Angewohnheit, mechanisch. Vom Bett abstoßend bewege ich mich in Richtung Badezimmer. Das kalte Licht von der Baddecke zeichnet scharfe Schatten in den Raum. Mein Gesicht im Spiegel blickt mir mit dunklen Rändern und harten Kanten entgegen.

Dann schreit sie. Die Schatten fressen das Gesicht im Spiegel. Die Welt verschwindet, taucht in Rauch und Feuer und der Schrei gellt weiter in meinen Ohren. Will nicht enden. Gelbe und rote Flammen um mich herum.

Plötzlich Stille. Der Anrufbeantworter springt an und das Schrillen des Telefons verstummt.

Ich knie am Boden und ziehe mich mühsam am Beckenrand in die Höhe.

Als die Bandansage endet, vernehme ich die Stimme meines Therapeuten, der in hastigen Worten die heutige Sitzung absagt und auf nächste Woche verschiebt. Mir wird klar, dass ich den Tag, die Woche ohne Unterstützung rumkriegen muss. Kaltes Wasser hilft mir, ganz ins Jetzt zu kommen. Für Kaffee und Nahrung muss ich in den nächsten Shop. Also ziehe ich mich an und hoffe, dass mich keine weitere Vision erwischt. Als ich mir das Shirt überstreife, kann ich die Sonne über den Dächern aufgehen sehen. Flammendes Orange kippt ins Blutrote, ein Rechteck formt sich aus dem Sonnenkreis. Ich greife nach dem Fensterbrett. Greife zu, um den Halt nicht wieder zu verlieren, weder den physischen noch den psychischen. Dann reiße ich mich los und wende mich ab. Ich nehme die Schlüssel und fliehe aus der Wohnung.

*

Es ist früh und ich laufe durch die Stadt ohne Ziel. Ein Plakat preist ein herzstärkendes Mittel an. Das Bild eines lächelnden, älteren Mannes, mit einem mitten auf die Brust projizierten Herzens. Warum nicht links? Ich laufe an Schaufensterläden vorbei, mit Dingen, die ich nicht wahrnehme. Die ersten Menschen eilen zu ihrer Arbeit. Das sind die Menschen mit den niedrigen Einkommen, den härteren Jobs. In ein paar Stunden folgen die Besserverdienenden.

Ich arbeite nicht mehr, sinnlos. Eine Zeitlang half es mir. Ich konnte mich durch die Konzentration ablenken. Es drängte die Visionen zurück. Doch dann wurde es schlimmer. Jetzt rette ich mich von Sitzung zu Sitzung.

Diesmal nicht. Keine Sitzung. Ich bleibe stehen und mir wird bewusst was das bedeutet. Einige wenige Leute gehen an mir vorbei. Ich stehe fest. Ich stecke fest. Wie ein Fremdkörper in einer Welt, in die ich nicht gehöre. Panik steigt in mir auf. Ich suche nach einem Halt. Ich fange an mich zu drehen. Sehe mein Spiegelbild sich in den Schaufenstern wenden. In irgendeiner Spiegelung blitzt ein Licht auf. Das ist sie! Die Silhouette, das Gesicht. Das muss die Frau aus dem Zug sein. Jede Nacht sehe ich sie. Jedes Mal, wenn ich die Augen schließe. Nur ein weiteres Trugbild! Ich knicke ein. Eine weitere Vision. Ich schließe die Augen und presse die Hände auf die Ohren, obwohl ich weiß, dass es nichts nützen wird.

„Geht es Ihnen nicht gut? Kann ich helfen?“

Langsam sinkt mein Kopf in Richtung meiner Knie am Boden.

„Können Sie mich hören?“

Etwas berührt meine Schulter, nein Jemand.

„Können sie mich hören?“

Ich reiße meine Augen auf. Das ist sie! Nein, unmöglich! Ich suche Differenzen in ihrem Aussehen. Ich nehme meine Hände vom Kopf und versuche ihre Hände zu greifen. Die Angst in ihrem Gesicht, wie im Traum, meinem Alptraum. Sie muss die Antworten kennen! Gleich müssen die Flammen kommen. Ich schrecke zurück. Weitere Gesichter drängen sich in meine Wahrnehmung. Hände greifen nach mir, richten mich auf und fragen nach meinem Befinden. Sie wird zurückgedrängt. Ich versuche sie nicht in der anwachsenden Menge zu verlieren. Ein energisches Händepaar zwingt mein Gesicht, meinen Blick in ein fremdes Augenpaar.

„Sehen Sie mich an, ich bin Arzt! Können Sie mich verstehen?“

Ich suche ihr Abbild, vergebens. Mein Blick wird erneut in das fremde Gesicht gezwängt.

„Verstehen Sie mich? Verstehen Sie meine Sprache?“

„Ja, kann ich.“

„Geht es Ihnen wieder gut? Nehmen Sie Medikamente?“

„Ich bin in Behandlung. Nur ein kleiner Schwächeanfall. Alles wieder in Ordnung.“

Sie ist weg.

„Sind Sie sicher? Besser Sie gehen zu Ihrem Arzt oder in ein Krankenhaus.“

War sie jemals da?

„Nein, alles in Ordnung, es geht mir wieder gut. Ich gehe zu meinem Arzt.“

-Kapitel 1-                    -Kapitel 3-
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Science Fiction

1.Kapitel -Der Tagtraum-

© David Scholtissek

Ich betrachte den Zug, ohne ihn wirklich zu sehen. Das Wetter hat sich eine kurze Regenpause gegönnt, nur um weitere dunkle Wolkenbänke zusammen zu treiben. Der Tag hat kalt und feucht begonnen und nichts deutet darauf hin, dass sich daran etwas ändern wird. Noch etwa zwei Stunden, bis das Zwielicht des Tages der Dunkelheit der Nacht weichen wird.

Es steigt eine Gruppe von Leuten in den Zug. Mein Blick folgt ihnen. Das Innere des Zuges ist schon erleuchtet und den Fahrgästen, die verstreut in den Wagon sitzen, sieht man die Behaglichkeit der Abteile an. Einige haben noch ihre Berufskleidung an, andere sind auf dem Weg zu der nächsten größeren Stadt und wieder anderen ist anzusehen, dass sie verreisen.

Drei Minuten bis zur Abfahrt. Am Himmel zeichnet sich der nächste Regenguss ab. Ich nehme meine Tasche und richte mich von der Bank auf, froh ebenfalls in den trockenen, warmen Zug zu gelangen. Zeitgleich mit dem Betreten des Innenraumes setzt der Regen ein.

Ich gehe den Gang entlang zu der Bank, die ich für mich ausgesucht habe. Mit einem sanften Ruck fährt der Zug an. Es sind nicht viele Reisende in dem Waggon. Insgesamt mache ich weitere acht Personen aus. Einige lesen, andere blicken aus dem Fenster und zwei scheinen eingenickt zu sein.

Ich schaue auf die Kulisse, die immer schneller werdend an mir vorüber zieht.

In einem kleineren Ort erhasche ich einen Blick in eine Glasscheibe in einem Haus, an dem der Zug vorüberfährt. Es ist das Licht einer Straßenlaterne, das sich darin widerspiegelt. Das Bild bleibt in meinem Gedächtnis haften. Immer wieder spult die Szene in meinem Kopf ab. Längst haben wir die Stelle passiert und sind an dem Ort vorbei. Hartnäckig hält sich das Bild. Bald erkenne ich was, mich stört. In dem Bild aus meinem Gedanken vermisse ich das Original, das sich in dem Fenster spiegelt. Ich muss es Buchstäblich aus dem Gedächtnis gelöscht haben.

Nach einer Weile bemerke ich eine junge Frau im Gang schräg mir gegenüber. Ihre brünetten, langen Haare fallen zu beiden Seiten ihres Gesichtes auf die Seiten in einer gelben Mappe, die sie mit ihren schmalgliedrigen Fingern hält. Ein weiter Parka, der sie wie ein Kokon umgibt, sie einhüllt wie ein zerbrechliches Gut. Ihre Beine schauen eine Handbreit aus der weiten Stoffhose und enden in flachen Sneakers. Sie scheint versunken und sehr in die Lektüre konzentriert. Ich schätze ihr Alter auf Anfang Zwanzig. Mein Blick verweilt lange auf sie. Die Mappe sieht aus als wenn es Aufzeichnungen aus einem Studiengang sind. Ab und an kann ich eine Reaktion beobachten, die Missbilligung oder Erstaunen ausdrückt. Plötzlich senkt sie die Mappe und ich kann deutlich erkennen, dass sie zögerlich aus der Lektüre in die wirkliche Umgebung zurückkehrt. Sie scheint verärgert über die Störung. Ihr Blick hebt sich ein wenig und sie sieht mich direkt an. Ich blicke in dunkle, braune, fast schwarze Augen. Mir wird klar, dass ich die Ursache ihrer Unterbrechung bin. Durch meine Aufmerksamkeit habe ich bei ihr ein Unbehagen ausgelöst, welches sie in ihrer Konzentration stört. Wir blicken uns immer noch an und ich kann beinahe die Frage hören, die ihr auf den Lippen liegt. „Warum störst du mich in meiner Konzentration?“. Verlegen schaue ich zum Fenster. Mein Puls hat sich beschleunigt durch die Erkenntnis, wie unhöflich meine Neugierde ist. Habe ich doch sehr lange eine Unbekannte angestarrt und scheinbar unverfroren gemustert. Ich versuche abzuschätzen wie groß der Zeitraum wohl gewesen ist. Der Zug ist noch immer gut fünf Minuten vom nächsten Bahnhof entfernt. Die Fahrzeit beträgt etwa acht Minuten und ich habe schätzungsweise drei Minuten über das Phänomen mit der Spiegelung nachgedacht. Nein, das ist unmöglich! Wenn dem so ist, bleiben nur Sekunden, in denen ich auf die Frau aufmerksam geworden bin. Mein Zeitgefühl muss mich narren.

Irritiert suche ich wieder den Blickkontakt mit der jungen Frau. Sie schließt die rote Mappe gerade und bindet mit zwei losen Bandenden die offenen Seiten zusammen. Hat mir mein Zeitgefühl erneut einen Streich gespielt? Ich blicke aus dem Fenster. Nein, der Zug ist immer noch viereinhalb Minuten vom Bahnhof entfernt. Ich sehe wieder zu der Frau, die noch immer mit dem Verstauen der roten Mappe beschäftigt ist. Zwischendurch streicht sie sich ihre Haare aus dem Gesicht.

Es ist weder die Bewegung noch die Körperhaltung, die mich fesselt. Und doch hält mich ihr Antlitz in ihrem Bann. Dann lehnt sie sich zurück und blickt aus dem Fenster. Deutlich meine ich die Sehnsucht zu spüren, mit der ihr Blick die vorbei huschende Landschaft streift.

Innerlich kämpfe ich mit mir, ob ich sie anspreche. Meinen Blick zieht sie immer wieder magisch zu sich. Ich greife zu meiner Tasche und will aufstehen.

„Hallo, ist hier noch ein Platz frei?“

Ein junger Mann steht vor der Frau und spricht sie an. Ich blicke an seinem Rücken vorbei und warte auf die Reaktion der Frau. Sie blickt auf und lächelt den Mann an. Wieder streicht sie sich durch die Haare.

„Natürlich,…bitte“.

Der Mann setzt sich ihr gegenüber und stellt seine Tasche auf den Nebensitz. Die Frau tut es ihm gleich und besetzt den noch freien Platz neben ihr, mit ihrer Studientasche.

Ich lasse meine Tasche an ihren Platz zurückgleiten.

„Es ist ein scheußliches Wetter, aber der Regen hat auch etwas Beruhigendes, finden sie nicht auch?“

„Ich mag den Regen, aber ich mag es nicht nass zu werden“.

Der junge Mann lacht auf. Es ist ein ansteckendes Lachen. Das Lächeln der Frau wird ein wenig verlegen, dabei blickt sie kurz zu Boden und sieht dann den Mann wieder an. Ihre Finger spielen an dem Reißverschluss ihres Parkas.

„Hat man so etwas schon gehört? Ehrlich, ich mag es auch nicht durchgeregnet zu werden. Auch kenne ich niemanden, dem so etwas gefällt! Dabei habe ich gleich noch den ganzen Weg durch die Stadt vor mir“.

„Ja, bei dem Gedanken daran ohne einen Schirm durch den Regen zu müssen, wünschte man sich schon zu Hause zu sein. Ich hatte mir heute Morgen einen Schirm eingesteckt, aber ihn dann in der Uni vergessen.“

Der Mann wirft seinen Kopf zurück und lacht abermals. Diesmal fällt die Frau in das Lachen des Mannes ein.

„Dann kann man ja nur hoffen, dass der Regen aufhört und wir beide trockenen Fußes nach Hause kommen. Darf man fragen, was sie studieren?“

„Nun, eigentlich studiere ich nicht mehr. Ich habe heute meine Arbeit abgegeben und will jetzt die Ferien nutzen, um mal auszuspannen.“

Der Zug fährt in den nächsten Bahnhof ein. Ein Schaffner steigt ein und fängt an, bei den Reisenden die Fahrausweise zu kontrollieren. Als er bei der Frau und dem Mann ankommt, geht er, ohne zu zögern an den Beiden vorüber, um mein Ticket zu entwerten. Vielleicht liegt es daran wie ich seine Tätigkeit gemustert habe, so dass er glaubt einen Fahrgast ohne Fahrschein erkannt zu haben. Jedenfalls geht er anschließend, nachdem er sich vergewissert hat, dass alles ordnungsgemäß ist, ohne sich umzusehen oder anzuhalten durch das Abteil in das Nächste.

Der Zug hat wieder Fahrt aufgenommen und fährt weiter seinem nächsten Ziel entgegen, meinem Ziel. Das Gespräch der Beiden geht in der Geräuschkulisse des Zuges unter und ich treibe gedankenlos in den Eindrücken der vorbeihuschenden Motive jenseits des Zugfensters. Als die Geschwindigkeit sinkt, weiß ich nicht einzuordnen wie viel Zeit vergangen ist. Ich nehme meine Tasche und Jacke und gehe langsam zum Ausgang. Dort warte ich an der Ausgangstür, bis der Zug fast steht und drücke dann auf den Öffner. Der Button leuchtet rot auf und signalisiert, dass meine Anforderung bearbeitet wird. Sekunden nach dem Halt des Zuges öffnet sich die Tür und ich trete ins Freie. Ich überquere den Bahnsteig und strebe in die Unterführung, die unter die Gleise zur Bahnhofshalle hinabführt.

Meine Welt zersprengt in tausende Fragmente! Ohrenbetäubende Geräusche, huschende Bilder, sengende Hitze und verzerrende Bilder stürzen auf mich ein. Etwas Gewaltiges drückt mich vorwärts und wirft mich die Treppe hinunter in den Tunnel. Der Geruch nach Feuer und Rauch hüllt mich in eine dunkel werdende Welt.

*

„Hey, hey, bleib bei mir! Nicht wieder die Augen schließen!“

Gott, schmerzte meine Schulter! Nein nicht die Schulter, alles von der Schulter bis zu den Fingern.

„Gut, du hörst mich! Mach die Augen auf, komm schon, öffne deine Augen.“

„Gott, es tut so weh.“

„Ich weiß, ich weiß. Gleich kommt der Arzt. Alles wird gut.“

Der Rauch ist immer noch da. Er macht das Atmen schwer. Ich will meine Augen nicht öffnen. Die Hintergrundgeräusche dringen zu mir durch. Aufgeregte Rufe und Schreie sowie das Brausen von Flammen schlagen überdeutlich auf mich ein. Zu den Schreien und dem Prasseln mischt sich eine Sirene, noch eine, noch viele. Mein zersprengtes Weltbild fügt sich. Irgendetwas Furchtbares muss sich ereignet haben. Etwas, was mein Bewusstsein mit aller Macht von sich schiebt.

„Hier! Wir brauchen einen Arzt! Hierher!“

Jemand fasst an meine Schulter und ich bin wieder weg…

-REALITÄT-              -KAPITEL 2-
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Lovestory Science Fiction

Realität

© David Scholtissek

Musik: ©Joe Palm “Througt the storm”

Was wäre wenn die Realität nicht so fest ist wie wir glauben? Wenn Zeit und Materie oszillieren, um die eigene Wahrnehmung?
Laurent lebt mit Ellen zusammen.
Und mit Aurora.
Ohne dass die Drei voneinander wissen. Doch Laurent muss sich entscheiden. Schafft er eine Realität mit Ellen, seiner Liebe, dann stirbt Aurora. Bleibt er bei Aurora, begegnet er Ellen niemals.

1.Kapitel -Der Tagtraum-

2.Kapitel -Visionen-

3.Kapitel -Die Fährte-

4.Kapitel -Konvaleszenz-

5.Kapitel -Die Information-

6.Kapitel -Wicca-

7.Kapitel -Transfer-

8.Kapitel -Die Morgenröte-

9.Kapitel -Der Magier-

10.Kapitel -Training-

11.Kapitel -Aufbau-

12.Kapitel -Thesen-

13.Kapitel -Der Drift-

14.Kapitel -Epilog-

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Gedanken

I´ve never been in paradise

© Dan Prescot

Wenn ich falle, werde ich auffangen.

Die Gemeinschaft schützt mich, gibt mir Obdach und Nahrung. Auch wenn ich nicht für mich sorgen kann.

Niemand darf sich über mich erheben. Alle sind gleich.

Ich darf sagen was ich denke, kritisieren was ich will, gehen wohin ich möchte und glauben was ich will. Es steht mir frei mich mit wem auch immer zu treffen, zu versammeln oder zu vereinen.

Meine Arbeit wähle ich ohne Zwang, nach meinen Bedürfnissen und Vorlieben.

Niemand darf mir mein Recht auf Bildung nehmen. Ja, ich habe einen Anspruch auf Information und selbst die Informationsquelle kann ich frei wählen.

Ich entscheide wer meine Meinung und Interessen für mich vertritt oder kann sie sogar selbst fordern.

Ich bin ein Mensch und habe das Recht auf eine zweite Chance.

 

Aber im Paradies war ich noch nie…

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Hund Kurzgeschichte Tiergeschichten

Geisterhund

Baskerville
© Dan Prescot

„Verflixtes Weibstück!“ Dachte Henry.

Beryl würde ihn, Henry, noch ins Grab bringen! Er hatte, als er den Landsitz in Dartmoor durch Erbschaft in Besitz genommen hatte, sich in die Schwester des zwielichtigen  Naturforschers Stapleton verliebt und nachdem Stapleton seine gerechte Strafe ereilt hatte, geehelicht. Doch bei Gott, manchmal glaubte er, er hatte einen Familienfluch geehelicht statt einer Frau! Es hätte ihn schon auffallen müssen als ihr gemeinsames Glück durch die Geburt seines Erbfolgers seinen Höhepunkt erreichte. Beryl hatte auf den skandinavischen Namen Ole bestanden! Meine Güte, er war durch Jahrhunderte dem englischen Landadel verpflichtet. Im Taumel seines Glücks hatte er nachgegeben und nun hieß der zukünftige Erbe des Landstrichs Dartmoor Ole Charles. Nun zu mindestens hatte er sich im Bezug auf dem zweiten Vornamen Charles durchsetzen können. Es war der Name seines Erbonkels, dem er seine jetzige Position und Stellung in der Gesellschaft verdankte. Zum Teufel, jetzt war die neueste Idee von Beryl sich eine Hundezucht zuzulegen. Sicher, eigentlich ist es für den Adel nicht unüblich eine eigene Hundemeute für die Jagd zu halten. Trotzdem, er hatte ein ungutes Gefühl. Die Jagd schauderte ihn.

Beryl blickte zu ihren Gatten:“ Himmel er ist so verknöchert!“ Ja damals als er sie vor ihren Bruder errettete, erschien er ihr wie ein Ritter. Von adliger Herkunft, gebildet, stark und gutaussehend. Was war davon geblieben? Ein in Tradition erstarrter und verknöcherter Möchtegern Adliger. Die hohe Gesellschaft akzeptierte halt keine Kanadier. Auch keine  lose Verwandtschaft um was weiß ich wie viele Ecken. Was soll´s? Wenn er wenigstens ein wenig moderner sein könnte. Gerade hatten sie die Jahrhundertwende hinter sich gebracht. 1901, die Welt änderte sich. Ja. Die Welt änderte sich. Nur eben Henry nicht! Ole sollte von den Veränderungen profitieren und nicht in den alten Traditionen ersticken. Deshalb hatte sie Ole den Floh mit dem Hund ins Ohr gesetzt. Wenn er mit ihm spielte konnte er sich und alten Mauern vergessen und ausgelassen toben. Beryl erinnerte sich wie Ole reagierte: „Ein Hund“ sagte Ole mit beinahe träumerischer Begeisterung. Sie lächelte als sie an die Situation dachte. Was sollte schon schiefgehen?

„Sind sie sicher?“ Der Mann hinter dem Pult betrachtete die Szene. Seine Finger spielten mit einem Namensschildchen für die neuen Besitzer.

Ein kaum 1,60m großer Jugendlicher mit einem Hund der fast genauso groß war. OK, der Hund und der Junge schienen sich zu mögen. Allerdings steckte niemand in dem Kopf des anderen. Ihm war das zu gefährlich. Wäre es sein Kind würde er es nicht erlauben. Diese durchgeknallten, verknöcherten, möchte gern Adligen…

„Also gut, ich brauche für die Papiere noch ihren Namen.“

„Baskerville, Henry Baskerville“ antwortete Henry.

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Kurzgeschichte Leben

Schönes Land

Schönes Land
© Dan Prescot

Kuamo lief den staubigen Weg aus dem Dorf Richtung asphaltierte Straße. Der ockerfarbene Staub hatte sich bereits auf seine dunkle ausgeblichene Stoffhose gesetzt. Ein Stück Strick hielt die zu große Hose auf den schmalen Hüften des dunkelhäutigen Teenagers. Die roten zerschlissenen Turnschuhe hatte er vor langer Zeit aus der Rot-Kreuz-Station bekommen. Damals waren sie schon alt. Einzig das T-Shirt war von seiner Familie neu erworben worden. Allerdings war Kuamo als Viertgeborener eben der Vierte der es trug. Und bestimmt würde er es an seine zwei jüngeren Geschwister weitergeben.

Kuamo schlenderte weiter den Weg entlang, vorüber an den jungen, grünen Pflanzen und Palmen. Er sollte seinen älteren Bruder an der Straße ablösen, der die wenigen Früchte die die Familie entbehren konnte, an die Besitzer der Fahrzeuge an der Straße zu verkaufen. Sie waren reich, sie mussten reich sein. Könnten sie sich sonst ein Auto leisten? Er hob einen Stock auf und schlug dann und wann auf irgendwelche Pflanzen ein, um den eintönigen Marsch zu verkürzen. Als er sich der Straße näherte, hörte er Geschrei. Kuamo ließ den Stock fallen und verbarg sich hinter den mächtigen Stamm eines Flaschenbaumes. Ganz leise, kaum das er zu atmen wagte, schaute er zwischen den Pflanzen und den blühenden Büschen hindurch zu der Straße, wo sein Bruder seien sollte. Fünf Jungen und Mädchen in Armeeanzügen und Waffen in den Händen schrien seinen Bruder an. Ab und zu schlugen sie ihn mit den Gewehrkolben. Sein Bruder schwieg. Er weinte nicht einmal. Obwohl es sehr wehtun musste. Kuamo hielt den Atem an. Sein Bruder musste aufstehen und den Kindern der Rebellenarmee in das Unterholz folgen.

Kuamo weinte für seinen Bruder.

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History Kurzgeschichte

Damals

© Dan Prescot

Ich erinnere mich, dass meine Großeltern einmal erzählten, früher gab`s so etwas nicht, früher war alles besser. Ich kann gar nicht mehr genau sagen was das eigentliche Thema so eskalieren ließ, aber im Wesentlichen ging es wohl um die unzuverlässige Jungend im Allgemeinen und die jetzige Generation im Besonderen und schlussendlich meines Vaters Sohn im Speziellen. Alles Klar? Ich war also schuldig!

Meine Güte, habe ich mir was anhören müssen. Das Pflichtbewusstsein sei der heutigen Jugend vollständig verlustig gegangen und sie hätten wenigstens versucht ihren Kindern ein wenig Vernunft einzubläuen, was aber offensichtlich nicht gereicht hätte, da ja schon eine Generation weiter alles was mit Pflicht, Tradition und Ehre den Eltern gegenüber zu tun hatte, verloren wäre! Das ganze Versagen wiege den Großeltern gegenüber natürlich doppelt so viel. Meine Eltern schwankten in ihrem Standpunkt ein wenig mit dem Wind. Einerseits versuchten sie mich zu verteidigen und schoben mein verantwortungsloses Handeln auf mein schwieriges Alter von 16 Jahren. Anderseits beschlich sie wohl eine Mischung teils aus eingeredeten, erzieherischen Versagertum und teils berechtigten, notorischen Misstrauens gegenüber pubertierenden, pflicht- und verantwortungslosen Teenagern.

Ich muss natürlich zugeben, so ganz zu unrecht erhielt ich die Standpauke ja nicht. Hatte ich doch nach eigenen Angaben Opas besten Wacholder auf der Dorfhauptstraße verteilt, als die Pulle von dem Gepäckträger meines Rennrades rutschte.

Ich sei bestimmt wieder wie ein Geisteskranker durch die Kurven gejagt oder hatte ich womöglich das Fahrrad wieder so abgestellt, dass es umfallen musste während ich über irgendwelchen Teenagermist mit den Gleichaltriegen quatschte und der arbeitenden Klasse die Zeit stehle. Oder noch schlimmer, ich würde den Dorfschönheiten hinterher steigen, lange genug hatte es ja gedauert bis ich vom Einkauf zurück war. Ich solle ja aufpassen und kein Kind anschleppen! Dann würde ich den Weltuntergang kennen lernen!

Der Einwand es würde aber immer noch um eine olle Pulle Schnappes gehen und nicht um eine Grenzverletzung an der ostdeutschen demokratischen Republik, brachte mir eine gezeterte Strafpredigt und eine gestreckte, linkshändige Ohrfeige ein.

Oho! Ich will nicht so sehr ins Detail gehen aber nur ganz kurz: Ich nehme mal an, sie sind auch nicht ganz unerfahren im Umgang mit Ohrfeigen? Egal, ob verteilend oder empfangend? Nun, diese Watsche war schnell. Sie war schallend und sie trieb einem auf eindrucksvolle Weise die Röte in das Gesicht und die Tränen in die Augen!

Mit wenigen und in ruhigen Tonfall gesprochenen Worten, erbot ich mich eine neue Flasche Wacholder von dem 1 km entfernten Einkaufsladen zu holen. Ob meines reumütigen Verhaltens händigte man mir ein weiteres Mal den Kaufpreis aus und mit ruhigen, gleichmäßig schneller werdenden Pedalhub entfernte ich mich hocherhobenen Hauptes und mit gepeinigtem Geist und Körper von meinem Elternhaus.

Soso, ich war also unzuverlässig! Denen werde ich es noch zeigen. Ohne weiteren Zwischenfall kam ich umgehend wieder nach Hause und händigte mit steinerner Mine das Streitobjekt aus. Dann erklärte ich dass ich zu meinen Kumpels wollte und ich mich nur noch versichern wollte ob denn für die Herrschaften alles zu ihrer Zufriedenheit geregelt worden sei. Ich entkam dem folgenden Zornausbruch weil ich mich in meiner Weitsicht schon an die Haustür gestellt hatte und ich die zum Teil sehr lauten Worten als ein „Ja es ist alles in Ordnung und du kannst gehen“ interpretierte. Ich hechtete auf mein Rennrad und raste wie ein Geisteskranker durch die Kurven. Nach einem kleinen Abstecher und etwa 15 Minuten erreichte ich den vereinbarten Treffpunkt in einem nahe gelegenen Waldstück. Alle meine Kumpels und natürlich auch die Dorfschönheiten waren schon versammelt. Auf die Frage wo ich denn so lange gesteckt hätte antwortete ich grinsend ich hätte den Abend gerettet. Und Simsalabim zog ich eine Flasche Wacholder aus dem Inneren der Jacke.

An dieser Stelle endet meine Geschichte aber es soll noch auf einige Dinge hingewiesen werden:

Erstens, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Großeltern sind natürlich rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Und zweitens, nein, natürlich ist diese Geschichte reine Fiktion. In Wahrheit mag ich gar keinen Wacholder! Schon seit meinen 16. Lebensjahr nicht mehr.

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Kurzgeschichte Science Fiction

Spiegelwelt

© Dan Prescot

Professor Doktor Honorius Liebig warf einen letzten Blick in den Spiegel. „Weist Du wirklich ob das richtig ist, was du heute tun wirst?“ Er stellte sich diese Frage jeden morgen. Mittlerweile war sie zu einer rhetorischen Farce verkommen, doch er hielt an diesem Ritual fest. Seine Frau Valeria hatte ihn verlassen, weil er mit seinem Projekt zu sehr beschäftigt war, um zu bemerken wie sie sich auseinanderlebten. Erst als sie ging bemerkte er den Verlust und die Unterstützung, die sie ihm gewesen war. Seit diesem Zeitpunkt vor drei Jahren stellte er sich jeden morgen vor dem Spiegel diese Frage. Natürlich konnte sein Spiegelbild ihm keine Antwort geben. Lautlos wiederholte es nur die Bewegungen getreu seinem Original.

In seinem Labor angekommen, startete Honorius seine Gerätschaften. Wie immer hatte er früher als seine Assistenten mit der Arbeit begonnen. Mit seinen Forschungen berührte er die Grundfeste der Welt. Seine Arbeit war nicht ungefährlich aber wie alle großen Entdeckungen sollte sie zum Wohle der Menschheit sein. Und schließlich hatte er seinen Preis ja schon bezahlt.

Heute wollte er einen entscheidenden Testlauf seiner Theorie wagen. In dem kilometerlangen Teilchenbeschleuniger sollten zwei Isotope aufeinanderprallen und für einen winzigen Augenblick eine Singularität erzeugen, um dann wieder zu zerfallen. Dies war eigentlich nichts Besonderes. In der Theorie.

Im Laufe des Tages spielten sein Team und er das kommende Ereignis in unzähligen Simulationen durch. Dann am späten Abend als nur noch eine kleine Gruppe übriggeblieben war, starteten sie die Apparaturen und wagten das Experiment.

Vor der Versuchskammer erschien ein klares, rundes Abbild des Labors, das alle Gegebenheiten deutlich spiegelte. Honoris stand von seinen Monitoren auf, ging auf dieses Bild zu. Seine Leute starrten immer noch auf die Erscheinung. Als Honorius auf das entstandene Feld zuging, bemerkte er, dass weder er noch seine Leute auf dem Abbild zu sehen waren. Nur das Labor wurde in jeder Einzelheit wiedergegeben. Dann ging er ein wenig zur Seite, um hinter das Bild zu sehen, doch anscheinend bewegte sich das Bild mit. „Das ist kein Bild, sondern eine Blase!“ wisperte er. Eilends umrundete er die Erscheinung und kam wieder zu dem Ausgangspunkt zurück. Vorsichtig streckte er die Hand aus, um dem Bild ganz nahe zu kommen. Ein leichtes Ziehen an den Fingerspitzen deutete auf die Existenz des Feldes hin. Er sah sich um. Seine Leute starrten immer noch beinahe regungslos herüber. Er blickte wieder auf die scheinbare Kugel. Ganz vorsichtig tippte er auf die Oberfläche. Ein Ruck ging durch seinen Körper. Sonst passierte nichts. Plötzlich fing die Kugel an zu flackern. Erschrocken zog er die Hand zurück und ging einige Schritte zurück. Ein Wabern setzte ein und die Kugel fing an zu schrumpfen. Doch kurz bevor die Kugel in die Versuchskammer verschwand, konnte er sehen wie in dem gespiegelten Labor eine Person erschien. Seine eigene.

Stundenlang hatte sie alle Werte verglichen, ihre Eindrücke geschildert und die Aufzeichnungen durchlaufen lassen. Nichts von alle dem hätte passieren dürfen. Keine vernünftige Erklärung, die mit Gleichungen belegbar wäre, ergab einen Sinn. In den frühen Morgenstunden trennten sie sich und Honorius fuhr mit seinem Wagen zurück zu seiner Wohnung. Müde und aufgewühlt ging er, nachdem er seinen Mantel abgelegt hatte in das Bad. Er schaute in den Spiegel. Wieder liefen die unglaublichen Augenblicke in seinem Labor vor ihm ab. Abgespannt fuhr er sich mit der rechten Hand über sein Gesicht. Sein Spiegelbild tat es ihm gleich. Fast! Er erstarrte. Sein Spiegelbild hatte ebenfalls die rechte Hand am Gesicht. Das Bild, in das er blickte, war nicht spiegelverkehrt! Das konnte unmöglich sein. Irritiert und verunsichert blickte er auf den Hintergrund im Spiegel. Links von ihm waren das Bad und die Armaturen zu sehen und rechts waren der Eingang und die halb geöffnete Tür zu sehen. Hastig drehte er sich um. Aus den Augenwickeln sah er wie sein Spiegelbild sich andersherum drehte. Wie er es im Spiegel gesehen hatte waren links das Bad und die Armaturen und rechts die halb geöffnete Badezimmertür. Sein Herz fing an zu pochen. Mit einem leichten Zittern drehte er sich wieder zurück. In dem Spiegel vollführte sein Abbild die Umdrehung andersherum. Er musste sich am Waschbecken festhalten. Seine Gedanken überschlugen sich während er in das unmögliche Bild vor ihm starrte. Dann sah er wie eine Hand langsam die Badezimmertür weiter aufschob.

„Honorius, Honorius. Du warst wieder bis in die Morgenstunden in deinem Labor. So kann es nicht weitergehen mein Lieber.“

Ihm stockte der Atem. Diese Stimme gehörte zu Valeria, seiner Frau. Langsam drehte er sich um. Er traute seinen Augen kaum, dort stand sie. Im Badmantel und noch verschlafen von der vergangenen Nacht. Wie in seinen Erinnerungen. Vorsichtig streckte er die Hand aus, als ob sie ein Traum wäre, der sich bei der kleinsten Berührung verflüchtigte. Seine Hand schmiegte sich sanft an ihre Wange. „Valeria, bitte bleibe bei mir.“ „Natürlich bleibe ich, mein Lieber, wo sollte ich den hingehen?“

Behutsam zog er sie zu sich, gleich etwas Zerbrechlichem, unermesslich Wertvollem. Bevor er mit seiner Frau das Zimmer verließ, blickte er ein weiteres Mal in den Spiegel. Sein Abbild lächelte zurück und verließ in entgegengesetzter Richtung zu ihm das Zimmer.

Es war nicht seine Welt, gewiss nicht, aber es war sein Zuhause.

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History Kurzgeschichte

Theater

© Dan Prescot

Es herrscht ein Zwielicht in der Gasse. Alte Häuser ein wenig schief, drängen aneinander und geben nur widerwillig den Weg auf das Kopfsteinpflaster frei. Warmes Licht drängt aus grünlichen, kleinen Scheiben der meist zweigeschossigen Häusern mit niedrigen Wohnräumen. Der Geruch von Rauch und Menschen wird fast wahrnehmbar. Nur gedämpft gelangen einige Laute der Bewohner an das Ohr. Ölige Laternen an den Häusern lassen die Szene ehr bedrohlicher erscheinen als Licht zu spenden. Die langen, dunklen Schatten lauern wartend auf den Unvorsichtigen, der einen ungewissen, aber bestimmt keinen frohen Martyrium entgegenstrebt. Ein schwerer, klackender Schritt nähert sich dem Straßenausschnitt.

Ein Mann mit langem, dunklem Mantel und einem Stock, der in einem silbernen Beschlag endet, kommt mit schweren, schlurfenden Schritten, dem der Elan fehlt, näher. Fast widerwillig setzt er einen Fuß vor dem anderen. Die Kleidung des Mannes spiegelt wohlhabendes Bürgertum wider. Der Mann ist gesetzten Alters und tiefe Furchen haben sich von dem Gesehenen in seine Stirn gegraben. Honorius hat eine Stelle am Hofe des Kurfürsten Wilhelm inne.
Unter dem Arm trägt er ein dickes, wertvolles Buch, das er sich von einem befreundeten Gelehrten geliehen hat. Es ist eine lateinische Übersetzung der griechischen Göttersagen. Mit dieser Übersetzung erhofft er sich den Durchbruch in seiner Arbeit, die auch sein Leben bedeutet. Er lehrt nicht nur die griechische Mythologie, er lebt in ihr. Sein ganzes Leben hat er ihr gewidmet. Sie ist eine anspruchsvolle Geliebte. Kaum das sie Platz für die notwendigsten Dinge des Lebens lässt. Und obwohl er ihr sein ganzes Leben geopfert hat fürchtet er die weitere Enttäuschung. Tief in seinem Inneren hat er die Gewissheit längst akzeptiert das er ohne die griechischen Originale, die weit außerhalb seiner Möglichkeiten liegen, sein Lebenswerk vollenden kann.
Als der Mann die vorderste Häuserfront erreicht, tritt ein weiterer Mann in den gelblichen Lichtkegel einer Öllaterne. Benvenuto ist jünger und hagerer. Seine Haare hängen in langen Strähnen in sein Gesicht. Er ist ungepflegt und seine Kleidung alt und geflickt. Das Schicksal hat ihn oft gefordert und selten waren die Alternativen angenehm gewesen, zwischen denen er hätte wählen können. Nun ist er an einen Scheidepunkt angekommen, welcher ihn nur noch die Option zwischen Hungertod und Verbrechen lässt. Seine Augen zeigen den Kampf der Verzweifelung mit der Entschlossenheit. Fiebrig brennt der Schweiß auf seiner Stirn, trotz der Kälte. In seiner Hand glänzt sein letzter Besitz auf dieser Welt. Ein abgewetztes Messer. Schartig und der Schaft notdürftig von einem Stück, groben Holz aufgenommen. Die Bettelschale hatte er am Nachmittag stehen lassen wo sie war. Und obwohl er immer noch mit sich ringt, hat er sich längst an den Abstieg in die eigene Hölle gemacht.

Benvenuto ist am Ende. Wochenlang ist er nun vor den Häschern und dem Gewissen auf der Flucht. Den Mann, den er tötete, folgt ihm in jeden Unterschlupf zu jedem Ort. Tagsüber schweigt er, lauert unter der Oberfläche des Bewusstseins. Nachts wenn Benvenuto sich zurückzieht, um nicht weiter aufzufallen, kommt er hervor. Klagt stumm an, sieht mit seinen gebrochenen Augen in das Herz seines Mörders. Holt jedes Unrecht, jeden Eigennutz Benvenutos hervor und lässt als Gräueltat und Verdammnis sein eigenes Leben ihn verfluchen. Allein der Hölle Grauen lässt ihn noch am Leben hängen. Fürchtet er doch nicht den Tod, sondern den Richter danach. Jeden Tag aufs Neue, flieht er den Ort der letzten Nacht. Einem Bühnenstück gleich durchlebt er seine Tat wieder und wieder. Stirbt Honorius durch seine Hand, nur für sein Verlangen nach einem Stück Brot. Oh, wie freudig würde er den Hungertod willkommen heißen, für die Reinheit seiner Seele.
Doch Benvenutos Gott ist eine grausame Kreatur. Unbarmherzig verstößt er ihn in die Feuergruben. Lässt Benvenuto kein Tor der Barmherzigkeit, ist er doch allwissend, allsehend und unversöhnlich.
Nun steht er vor den Toren der Stadt, die er floh und deren Gassen sich in sein Herz gebrannt haben, jede Nacht aufs Neue. Gleich dem Gang zum Henker schreitet Benvenuto zu der Stadtwache.
„Hier ist der, dessen Hände das Blut des Honorius vergossen. Lasst durch mein verwirktes Leben der Gerechtigkeit Genugtuung widerfahren. Auch wenn ich verstoßen bin, aus des güt´gen Gottes Garten, so soll doch meine Seele Frieden finden, durch das Lächeln Honorius ob meines Henkertodes!“

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Kurzgeschichte

Auf die Plätze, fertig, …tot!

© Dan Presot

Irvin presste die Hand mit der Pistole auf die Schusswunde und stützte sich mit der anderen am Kotflügel des Wagens ab, um nicht zusammenzubrechen. Er würde es nicht schaffen.

Er musste einfach einige Augenblicke verschnaufen, seinen Atem und seinen Puls beruhigen.

Unwillkürlich wanderten seine Gedanken zu dem Zeitpunkt zurück, als er auf diese attraktive Frau gestoßen war. Zunächst war sie ihm natürlich durch ihre athletische Figur aufgefallen. Trotz des weit auftragenden Kleides, das sie trug, konnte man den sportlichen Körper darunter erahnen.

Sie war dunkelhaarig und eigentlich fühlte er sich zu Frauen hingezogen, die eher zierlich und möglichst blond waren.

Aber sie mochte er auf Anhieb. Als er sich ihr näherte, konnte er ihren Duft wahrnehmen. Ihr Geruch war nicht so feminin, wie er es erwartet hatte. Etwas herber, wahrscheinlich war ihr Körper sehr durchtrainiert.

Irvin fasste einen Entschluss und sprach sie an.

 

Ihm wurde kalt. Das Metall des Kotflügels kam ihm eisig vor und sein Blut pulsierte zwischen den Fingern seiner Hand aus seinem Körper heraus. Er versuchte, die Frau in den Lücken des Fichtenwaldes auszumachen. Er hörte ihre Schritte, konnte die Richtung bestimmen aus der die Geräusche zu ihm drangen. Dann nahm er die Hand von der Wunde, es war sowieso eine sinnlose Geste. Die Kugel musste die Baucharterie getroffen haben. Er hielt die Pistole in die Richtung aus der die Geräusche an sein Ohr drangen. Der Arm und die Waffe waren so schwer, kaum das er sie ruhig halten konnte. Da, ein roter Schemen! Er versuchte den Abzug durchzuziehen. Zu langsam!

Die Waffe tanzte in seiner Hand auf und ab.

Verfehlt! Sein zweiter Fehler. Er hatte sie schon einmal unterschätzt. Das hatte ihm die Kugel in seinem Bauch eingebracht. Und nun hatte er sie wieder verfehlt. Es war sinnlos, zu einem weiteren gezielten Schuss würde er nicht mehr kommen. Sicherlich war sie schon aus dem Fichtenwäldchen heraus und würde um Hilfe kreischen die ihr bestimmt auch zuteil werden würde. Er hätte bei seiner bevorzugten Beute bleiben sollen. Ihm wurde schwindlig, egal. Er ließ sich fallen.

Mit seinem letzten Atemzug nahm Irvin den Fichtennadelduft auf. Noch bevor die Geräusche des Waldes zu leise für sein Ohr wurden, hörte er undeutlich eine Polizeisirene.

Das Grün des Waldes bildete sich auf seiner Netzhaut ab, ehe sein Blick brach.

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