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Gedanken Gedichte

Aufbruch

© Dan Prescot

Der Sekundenzeiger der Uhr nähert sich unaufhaltsam der höchsten Stelle. Alles fiebert diesem erlösenden Moment entgegen. Alles Schlechte, aller Ärger, enttäuschte Erwartungen bleiben mit dem Überstandenen zurück. Die Bruchstücke der Hoffnung aus dem gerade überstandenen Jahr fallen mit dem neuen Jahr der Vergessenheit anheim. Aufbruch bestimmt die Handlung. Neu geschöpfte Sicherheit und Hoffnung es diesmal besser zu machen. Doch mitten in diesem Freudentaumel sehe ich in deinen Augen den Zweifel aus dem alten Jahr.

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Kurzgeschichte

Der Traumwald

© Dan Prescot

Wald aus Träumen.

Jede Nacht wandeln wir unter seinem Blätterdach und kosten von seinen Früchten.

Jeder folgt seinem eigenen, scheinbar willkürlichen Pfad. Und doch gehen wir den Weg, den uns unsere Emotionen vorschreiben. Kein Gefühl wird ausgelassen, alles wird ausgelebt, ausgekostet aber auch aufgezwungen. Wir begegnen unseren ärgsten Feinden, unseren tiefsten Ängsten, größten Herausforderungen, unseren wertvollsten Lieben und bevorzugten Vorlieben. Alles ohne Zweifel, ohne Bedacht und ohne Logik. Nur beherrscht vom eigenen Ich. Nackt, ohne den Mantel von Ethik oder Konsequenz.

Aber auch ohne Befangenheit, ohne Scham und Falschheit. Nur das pure Selbst. Ohne Schranken, alters- und zeitlos.

Jede Nacht aufs Neue kosten wir von der Freiheit, die uns eingeräumt wurde. Mal farblos, mal im bunten Surrealismus. Selten sich seiner Selbst bewusst. Aber immer Akteur.

Das Bild, das wir dabei von uns zeichnen, ist das ehrlichste was wir je erfahren werden.

Aufgewacht! Das ich hält Einzug. Der Wald verschwindet im Nebel aus Konsequenz.

Tag für Tag kehren wir in die wirkliche Welt zurück. Wie ein Insekt in einem Bernstein, sind wir wieder eingesperrt in unserer Befangenheit, Gelehrtheit, Ethik und Kultur. Wo ist sie hin, die Freiheit?

Tag um Tag verlieren wir unser Leben an die Realität.

Und dabei verrinnt unsere Zeit, zieht an uns vorbei wie ein Traum.

Dessen sind wir uns so bewusst, wie wir im Traum wissen, dass wir schlafen.

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Gedanken Kurzgeschichte

Augenblicke

© Dan Prescot

Es war eine belebte Straße. Die Mutter mit ihrem Kind an der einen Hand und den voll gepackten Einkaufskorb in der anderen eilte einen weiteren Laden entgegen, um die lange Liste der Besorgungen abzuarbeiten. Das Kind hüpfte fröhlich mit dem Ballon in ihrer Hand um die Wette. Es war ein schöner Ballon, bunt mit vielen Farben die ineinander liefen und an einer Schnur, die ihn am davonfliegen hinderte. Das Kind hatte in seinem Spiel nur Augen für den Ballon.

Den schweren Korb absetzend, um kurz innezuhalten, ließ die Mutter auch die Hand des Kindes los.

Als die Politikerin aus ihrem Hotel trat, um zum heutigen Tagesprogramm zu starten, sah sie den Ballon, der bunt und lustig in den Himmel stieg.

Mit einem Seufzen gingen ihr die glücklichen Momente ihrer eigenen Kindheit durch den Kopf. Als sie in ihren Wagen stieg, bemerkte sie die Sirenen des Unfallwagens schon nicht mehr.

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Gedichte Herz

Was schlimm ist…

© Dan Prescot

Nie gefühlt zu haben wie etwas schmerzt.

Nie gesehen zu haben wie Mitleid beherzt.

Nie wahrgenommen den Geruch der Angst.

Nie gehört wie man umeinander bangt.

Niemals geschmeckt des Anderen Trost

Einfach da zu sein bloß.

 

Doch das Schlimmste was ich mir kann denken,

ist gelebt zu haben ohne zu lieben

und ungeliebt zu enden.

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Gedichte Herz

Liebeserklärung

© Dan Prescot

Fünkchen

Wenn das erste Licht die Stimmen der Nacht verstummen lässt,

Die Nebel in den Niederungen wie in einem Traum bedeckt,

Um sich auf die Haut zu legen, kühl und leicht wie Schnee

Und der junge Tag die Träume der Nacht verheißt,

Dann ist die Ungeduld auf das Neue unerträglich.

 

Wenn ich an einem lichten Tag über die Felder streife,

Den Geruch der Gräser und Blüten mit der Luft aufnehme,

Und der warme Wind über mein Gesicht fährt,

Die Vögel dabei mühelos in den Himmel trägt,

Dann ist die Freude des Lebens schier unermesslich.

 

Wenn ich in einer klaren Nacht zum Firmament aufblicke,

Dem Mond in Gedanken auf seiner uralten Bahn folge,

Den Welten unserer Sonne, dem Lebensspender nachspüre,

Und der Geist beflügelt durch das prachtvolle Sternenmeer reist,

Dann ist die Erhabenheit der Schöpfung allgegenwärtig.

 

Doch das alles ist trost- und seelenloses Ödland,

Ohne den einen funkelnden Stern in meinem Leben,

So das Dein Herzschlag schon vor Deiner Geburt

Den Rhythmus meiner Welt prägte.

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Kurzgeschichte Mystery

Grenzland

Grenzland
© Dan Prescot

Ich liebe es an der schmalen Linie zwischen den Welten zu wandeln. Mich sanft über den Grad der Rationalität in den Surrealismus treiben zu lassen und die Gesetze in diesem vertrauten und doch stets verdrängten Reich auf die Probe zu stellen.

Es begann vor einer halben Ewigkeit. Inzwischen kenne ich den Wert dieses Wortes.

Ich war auf die Suche nach meiner Identität, experimentierte mit vielen Methoden. Bedenklichen, obskuren, lächerlichen und gefährlichen Möglichkeiten, um meine Bestimmung zu finden.

Ich tauschte mich mit Verbündeten aus. Wir waren die heimlichen Verschwörer, die jeden Tag nach den Strukturen der Welt suchten. Wir lasen die geheimen Bücher, spielten die verbotenen Spiele und waren in einer Subkultur zu Hause, deren Mitglieder einander erkannten, wenn sie sich begegneten.

Immer war einer von uns der Entdeckung seiner Bestimmung nah. Um dann tags darauf festzustellen, nicht den richtigen Pfad gefunden zu haben und alles sich wieder in dem flüchtigen Rauch der Illusion verlor.

Es war ein langer ereignisreicher Tag gewesen, dem eine sehr kurze Nacht vorausgegangen war. Dieser Abend endete wieder nach Mitternacht und ich beschloss, mit dem Ende des gelesenen Kapitels schlafen zu gehen.

Auf meinem Rücken liegend wurde ich daran erinnert, dass Vollmond war, denn mein Schlafzimmer war in ein unwirkliches Zwielicht getaucht. Jeder Gegenstand war zwar deutlich erkennbar, aber fremd und unwirklich.

Ich ließ meinen Blick vom Fenster über die dunkle Deckenlampe zur Tür, entlang der Wand zu meinem Nachttisch und der Lampe darauf wandern.

Jedes dieser Details kannte ich, hatte sie unzählige Male in derselben Weise betrachtet. Und doch, etwas war anders.

Mit diesem Gedanken schlief ich ein.

Und wachte wieder auf!

Suchte erneut das Fenster. Es war nur eine leichte Bewegung mit dem Kopf, mehr nicht. Wanderte dieselbe Strecke mit meinem Blick ab. Als ich den Kopf nach links neigte, sah ich es!

Ich erstarrte. Unfähig, auch nur einen einzigen Finger zu rühren. So sehr ich mich auch bemühte aufzuspringen und fortzulaufen, mein Körper wollte einfach nicht meinen Befehlen gehorchen. Selbst mein Kopf konnte sich nicht von der unwirklichen Szene abwenden.

Neben meinem Nachttisch hockte ein mannsgroßes Wesen! Es war soweit ich das sehen konnte, unbekleidet und dunkelrot. Aus seinem haarlosen Haupt wuchsen Hörner und hinter seinem Rücken, weit über seinen Schädel, konnte ich zusammengefaltete ledrige Flügel erkennen. An deren Spitze nach innen geneigten Krallen thronten.

Er hockte nur da und sah mich in vollkommener Konzentration an. Sein ebenmäßiges Gesicht war bar jeder Emotion. Nach einem nicht enden wollenden Zeitraum, hob er langsam seine rechte Hand und näherte sich damit meiner Stirn.

Mühelos, ohne dass ich irgendetwas spüren konnte, drangen seine Finger in meine Stirn ein!

Ich schrie voller Entsetzen!

Ich schrie aus Leibeskräften!

Und wachte wieder auf!

Ich blickte auf das Fenster. Es war eine kurze, heftige Bewegung mit dem Kopf, um zum Nachttisch zu sehen. Der Platz daneben war leer!

Erst jetzt setzte sich mein Körper in Bewegung und betätigte den Schalter der Lampe.

Das aufflammende Licht brachte Vertrautheit aber keine Sicherheit. Immer noch war ich nicht bereit, der Realität zu vertrauen, die einem solchen Wesen die Existenz verbot!

In dieser Nacht fand ich keinen Schlaf mehr und der Arbeitstag darauf war nur sehr kurz.

Ich konnte es nicht erwarten, das Erlebte mit meinen Vertrauten zu teilen. Wir sprachen lange über das Ereignis und die sich daraus ergebenen Möglichkeiten.

Noch immer fasziniert mich die Lebendigkeit, mit der dieser Traum vor meinem geistigen Auge auflebt, wenn ich mich erinnere. Seit dieser Zeit erachte ich keinen meiner Träume mehr als gering und versuche mich stets an das darin Erlebte zu erinnern.

Dabei liebe ich es, entlang der schmalen Linie zwischen den Welten zu wandeln. An dem Grenzland, wo wachen und träumen sich vermischen und alles möglich ist.

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Gedanken

Stille

© Dan Prescot

Die Nacht breitet sich vor mir aus.
Unendliche Tiefen in denen ich mich verliere.
Winzige Punkte von gleißendem Licht.
Die Inseln zwischen dem Verlorensein,
dem Unendlichen.
Das Ewige lauert in diesem Nichts.
Die Kälte hält es unerbittlich in den Fängen.
Beide ringen um die Herrschaft
in diesem dunklen Reich.
Nur die Sterne sind Oasen,
die den beiden Feinden die Stirn bieten.
Dies ist das Land der Zeit, der Bewegung.

Hier ist Leben, hier gibt es keine Erstarrung.
In endlosen Variationen, Myriaden in ihrer Zahl.

Jedes Einzelne einzigartig.

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Gedanken Gedichte

Worte

Wie leicht ist gesagt, was unaussprechlich war?

Nur ein Wort braucht es zum Misstrauen, entzweien, verbittern.

Wie schwer ist gesagt, was unaussprechlich ist?

Ganze Geschichten braucht es zum Freuen, trösten, lieben.

Oder einfach nur berühren, wo Worte unzureichend sind.

 

Wie schnell ist berührt, wo Abstand geboten?

Nur ein Schlag braucht es zum Verbittern, verletzen, verfeinden.

Wie zögernd ist berührt, wo Unnahbarkeit trennt?

Die Unendlichkeit braucht es, um zu vertrauen, verzeihen, sich geben.

Oder einfach nur bedingungslos lieben, wo berühren unmöglich ist.

 

Wie leichtfertig ist vertan, was eigen war?

Nur eine Unachtsamkeit braucht es, um alles zu verlieren.

Wie unmöglich ist gewonnen, was das Menschenherz begehrt?

Die Göttlichkeit braucht es, um zu bestehen.

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Gedanken Kurzgeschichte

Halt

© Dan Prescot

In der Zeit der Entwurzelten, wo bist Du?

Welches ist Dein Halt, an dem Du ruhst?

Der Sinn nach dem Du strebst in Deinem Leben,

ist er es wert, gelebt zu werden?

Die Zeit nimmt immerfort kleine Stücke aus Deinem Leben mit.

Höre nie auf zu fragen, die Fragen Deines Lebens.

Höre niemals auf zu leben, nach den Antworten.

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Kurzgeschichte Leben Reisebericht

Santa Cathalina

Santa Cathalina
© Dan Prescot
© Dan Prescot

Die alte Empfangshalle der Hotels lag verlassen vor mir. Das einst glatt polierte Parkett war verwittert und rau. Mittlerweile löste sich an einigen Stellen bereits einzelne Dielen aus dem kunstvollen Muster der verschiedenfarbigen Holzarbeiten am Boden. Das helle Sonnenlicht zeichnete einen noch größeren Kontrast in die offene Fassade. Langsam ging ich in Richtung des Meeres. Vorbei an dem alten Flügel der standhaft den Jahrzehnten trotzte, dem Tresen mit der rostigen Registrierkasse.

Als ich aus dem Schatten in das gleißende Sonnenlicht trat, strich der Wind träge die warme Festlandluft Afrikas über die Insel. An der zerbrochenen Brüstung der ehemaligen Terrasse spülte das Meer eine unglaubliche Farbenpracht an Fischen, Seeigeln und anderen Meeresbewohnern direkt zu meinen Füßen. Beruhigend und immer gleich, brachen die Wellen an die steinerne Barrikade der Brüstung. Vögel sangen in der Mittagshitze.
Vor fast 30 Jahre flohen die Bewohner von der Insel, um einem Tropensturm zu entkommen. Viele kehrten nicht zurück. Das verfallende Hotel war ein stummer Zeuge dieser verlorenen Zeit. Mit seinen breiten Zufahrtswegen, den Flanierwegen, der Terrasse über dem Meer, den leeren Wohnräumen und der verlassenden Empfangshalle, stellte dies ein in Stein gebautes Mahnmal des Vergangenen dar. Der Tropensturm hatte nicht nur die Menschen von dieser Insel gefegt. Er war ein Bote des Sturmes gewesen, der das Land entvölkerte.
Das helle Lachen von Yves holte mich aus der vergangenen Epoche des Gebäudes zurück. Ich schritt schnell aus, um aus den schwermütigen Gedanken zurück in das Paradies zu gelangen, dass ich heute Morgen betreten hatte. Ein Junge war aufgetaucht. Wie fast alle Menschen in diesem erstaunlichen Land hatte auch er ein fast immer fröhliches Lachen.

© Dan Prescot
© Dan Prescot