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History

Eine stille Reise

Anselmus geht den Gang entlang. Die Wände links und rechts sind feucht und moderig. Seine Kleidung ist zerrissen und schmutzig. Die Ketten an den Händen und Füßen sind kalt und rau und haben die Haut aufgerissen. Ein wenig hinter ihm gehen die zwei Stadtwachen mit ihren Hellebarden. Anselmus hat es nicht eilig, doch immer wieder wird er gestoßen. Als er das Verließ durch das schwere hölzerne Tor verlässt, blendet ihn die Mittagssonne. Es ist heiß, nach den Tagen und Nächten in dem Kerker. Der Geruch der Stadt drängt sich ihm auf. Fäkalien, Schweiß, Staub und abgestandenes, fauliges Wasser. Der leichte Wind schafft es nicht sein klebriges Haar zu bewegen. Einen Augenblick stockt Anselmus im Schritt. Sofort schlägt einer der Stadtwachen ihn seinen Lanzenschaft hart auf den Rücken. Anselmus strauchelt und stürzt zu Boden. Die schweren Stiefel seiner Henkersknechte treten solange auf ihn ein, bis er sich wieder hochgedrückt hat. Sein Gesicht ist an mehreren Stellen blutig. Mühsam schleppt er sich weiter und öffnet vorsichtig die Augen. Er blickt die schmale Gasse entlang zu dem Marktplatz, wo der Galgen wartet. Die Sonne leuchtet alles auf dem Marktplatz aus. Den ungeduldig warteten Mob, die angebundenen Pferde der Wachen und die Ziegen der Bauern, das unterbrochene Markttreiben, um auch ja nichts von dem Schauspiel zu verpassen. Er geht weiter die Gasse entlang. Im Schatten der schmalen, zweigeschossigen Fachwerkhäuschen der ehrbaren Bürger. Einige Insekten schweben im Sommerlicht über der scharf gezeichneten Schattenlinie vor ihm. Er schließt kurz die Augen. Ihm folgend der scharfe Klang der Stiefel, die er so gut kennt. Als er aus den Häuserschatten tritt, blendet ihn das Licht ein weiteres Mal. Er blinzelt, um nicht wieder zu stürzen. Nochmals könnte er nicht aufstehen und die Wachen würden ihn aus Wut halb totprügeln, müssten sie ihn doch mitschleifen. Sein Kopf schmerzt entsetzlich und die Sonne bohrt sich erbarmungslos durch die Augen. Anselmus blinzelt die Tränen fort und versucht seine Augen mit den Händen zu beschatten. Doch die Ketten, die seine Arme und Beine fesseln, sind zu kurz. Der Mob schreit und tobt, als er den Marktplatz überquert. Fauliges Gemüse und Steine treffen ihn. Es schmerzt. Mühsam erklimmt er die Stufen zum Galgen. Der Henker greift nach seinem Arm und zerrt Anselmus unter den Strick. Ein Stoffbeutel wird ihm über den Kopf gezogen und das erbarmungslose Licht wird von einer wohltuenden Dunkelheit abgelöst. Der Beutel muss wohl im Schatten gelegen haben, denn er kühlt sein Haupt. Undeutlich hört er den Gerichtsdiener seine Missetaten und sein Urteil herunterleiern. Der Mob schweigt. Das Murmeln des Gerichtsdieners erinnert ihn an einen Bach auf den Feldern in seiner Jugend. Oft war er dem Bachlauf gefolgt. Auch dieses Mal läuft er mit ihm um die Wette, mit dem kleinen Stück Holz, das er hineinwirft. Die Sonne am blauen Himmel schmerzt ihn nicht, sie wärmt nur seine Haut. Das Gras unter seinen bloßen Füßen ist weich und saftig. Die Luft ist klar und duftet nach Gräsern und Kräutern. Er lacht laut auf und freut sich an der Bewegung. Schließlich kommt er an den Bachsturz und übermütig stößt er sich ab und springt, als ob er nie wieder auf den Boden aufkommen will.

ENDE

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History Kurzgeschichte

Damals

© Dan Prescot

Ich erinnere mich, dass meine Großeltern einmal erzählten, früher gab`s so etwas nicht, früher war alles besser. Ich kann gar nicht mehr genau sagen was das eigentliche Thema so eskalieren ließ, aber im Wesentlichen ging es wohl um die unzuverlässige Jungend im Allgemeinen und die jetzige Generation im Besonderen und schlussendlich meines Vaters Sohn im Speziellen. Alles Klar? Ich war also schuldig!

Meine Güte, habe ich mir was anhören müssen. Das Pflichtbewusstsein sei der heutigen Jugend vollständig verlustig gegangen und sie hätten wenigstens versucht ihren Kindern ein wenig Vernunft einzubläuen, was aber offensichtlich nicht gereicht hätte, da ja schon eine Generation weiter alles was mit Pflicht, Tradition und Ehre den Eltern gegenüber zu tun hatte, verloren wäre! Das ganze Versagen wiege den Großeltern gegenüber natürlich doppelt so viel. Meine Eltern schwankten in ihrem Standpunkt ein wenig mit dem Wind. Einerseits versuchten sie mich zu verteidigen und schoben mein verantwortungsloses Handeln auf mein schwieriges Alter von 16 Jahren. Anderseits beschlich sie wohl eine Mischung teils aus eingeredeten, erzieherischen Versagertum und teils berechtigten, notorischen Misstrauens gegenüber pubertierenden, pflicht- und verantwortungslosen Teenagern.

Ich muss natürlich zugeben, so ganz zu unrecht erhielt ich die Standpauke ja nicht. Hatte ich doch nach eigenen Angaben Opas besten Wacholder auf der Dorfhauptstraße verteilt, als die Pulle von dem Gepäckträger meines Rennrades rutschte.

Ich sei bestimmt wieder wie ein Geisteskranker durch die Kurven gejagt oder hatte ich womöglich das Fahrrad wieder so abgestellt, dass es umfallen musste während ich über irgendwelchen Teenagermist mit den Gleichaltriegen quatschte und der arbeitenden Klasse die Zeit stehle. Oder noch schlimmer, ich würde den Dorfschönheiten hinterher steigen, lange genug hatte es ja gedauert bis ich vom Einkauf zurück war. Ich solle ja aufpassen und kein Kind anschleppen! Dann würde ich den Weltuntergang kennen lernen!

Der Einwand es würde aber immer noch um eine olle Pulle Schnappes gehen und nicht um eine Grenzverletzung an der ostdeutschen demokratischen Republik, brachte mir eine gezeterte Strafpredigt und eine gestreckte, linkshändige Ohrfeige ein.

Oho! Ich will nicht so sehr ins Detail gehen aber nur ganz kurz: Ich nehme mal an, sie sind auch nicht ganz unerfahren im Umgang mit Ohrfeigen? Egal, ob verteilend oder empfangend? Nun, diese Watsche war schnell. Sie war schallend und sie trieb einem auf eindrucksvolle Weise die Röte in das Gesicht und die Tränen in die Augen!

Mit wenigen und in ruhigen Tonfall gesprochenen Worten, erbot ich mich eine neue Flasche Wacholder von dem 1 km entfernten Einkaufsladen zu holen. Ob meines reumütigen Verhaltens händigte man mir ein weiteres Mal den Kaufpreis aus und mit ruhigen, gleichmäßig schneller werdenden Pedalhub entfernte ich mich hocherhobenen Hauptes und mit gepeinigtem Geist und Körper von meinem Elternhaus.

Soso, ich war also unzuverlässig! Denen werde ich es noch zeigen. Ohne weiteren Zwischenfall kam ich umgehend wieder nach Hause und händigte mit steinerner Mine das Streitobjekt aus. Dann erklärte ich dass ich zu meinen Kumpels wollte und ich mich nur noch versichern wollte ob denn für die Herrschaften alles zu ihrer Zufriedenheit geregelt worden sei. Ich entkam dem folgenden Zornausbruch weil ich mich in meiner Weitsicht schon an die Haustür gestellt hatte und ich die zum Teil sehr lauten Worten als ein „Ja es ist alles in Ordnung und du kannst gehen“ interpretierte. Ich hechtete auf mein Rennrad und raste wie ein Geisteskranker durch die Kurven. Nach einem kleinen Abstecher und etwa 15 Minuten erreichte ich den vereinbarten Treffpunkt in einem nahe gelegenen Waldstück. Alle meine Kumpels und natürlich auch die Dorfschönheiten waren schon versammelt. Auf die Frage wo ich denn so lange gesteckt hätte antwortete ich grinsend ich hätte den Abend gerettet. Und Simsalabim zog ich eine Flasche Wacholder aus dem Inneren der Jacke.

An dieser Stelle endet meine Geschichte aber es soll noch auf einige Dinge hingewiesen werden:

Erstens, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Großeltern sind natürlich rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Und zweitens, nein, natürlich ist diese Geschichte reine Fiktion. In Wahrheit mag ich gar keinen Wacholder! Schon seit meinen 16. Lebensjahr nicht mehr.

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History Kurzgeschichte

Theater

© Dan Prescot

Es herrscht ein Zwielicht in der Gasse. Alte Häuser ein wenig schief, drängen aneinander und geben nur widerwillig den Weg auf das Kopfsteinpflaster frei. Warmes Licht drängt aus grünlichen, kleinen Scheiben der meist zweigeschossigen Häusern mit niedrigen Wohnräumen. Der Geruch von Rauch und Menschen wird fast wahrnehmbar. Nur gedämpft gelangen einige Laute der Bewohner an das Ohr. Ölige Laternen an den Häusern lassen die Szene ehr bedrohlicher erscheinen als Licht zu spenden. Die langen, dunklen Schatten lauern wartend auf den Unvorsichtigen, der einen ungewissen, aber bestimmt keinen frohen Martyrium entgegenstrebt. Ein schwerer, klackender Schritt nähert sich dem Straßenausschnitt.

Ein Mann mit langem, dunklem Mantel und einem Stock, der in einem silbernen Beschlag endet, kommt mit schweren, schlurfenden Schritten, dem der Elan fehlt, näher. Fast widerwillig setzt er einen Fuß vor dem anderen. Die Kleidung des Mannes spiegelt wohlhabendes Bürgertum wider. Der Mann ist gesetzten Alters und tiefe Furchen haben sich von dem Gesehenen in seine Stirn gegraben. Honorius hat eine Stelle am Hofe des Kurfürsten Wilhelm inne.
Unter dem Arm trägt er ein dickes, wertvolles Buch, das er sich von einem befreundeten Gelehrten geliehen hat. Es ist eine lateinische Übersetzung der griechischen Göttersagen. Mit dieser Übersetzung erhofft er sich den Durchbruch in seiner Arbeit, die auch sein Leben bedeutet. Er lehrt nicht nur die griechische Mythologie, er lebt in ihr. Sein ganzes Leben hat er ihr gewidmet. Sie ist eine anspruchsvolle Geliebte. Kaum das sie Platz für die notwendigsten Dinge des Lebens lässt. Und obwohl er ihr sein ganzes Leben geopfert hat fürchtet er die weitere Enttäuschung. Tief in seinem Inneren hat er die Gewissheit längst akzeptiert das er ohne die griechischen Originale, die weit außerhalb seiner Möglichkeiten liegen, sein Lebenswerk vollenden kann.
Als der Mann die vorderste Häuserfront erreicht, tritt ein weiterer Mann in den gelblichen Lichtkegel einer Öllaterne. Benvenuto ist jünger und hagerer. Seine Haare hängen in langen Strähnen in sein Gesicht. Er ist ungepflegt und seine Kleidung alt und geflickt. Das Schicksal hat ihn oft gefordert und selten waren die Alternativen angenehm gewesen, zwischen denen er hätte wählen können. Nun ist er an einen Scheidepunkt angekommen, welcher ihn nur noch die Option zwischen Hungertod und Verbrechen lässt. Seine Augen zeigen den Kampf der Verzweifelung mit der Entschlossenheit. Fiebrig brennt der Schweiß auf seiner Stirn, trotz der Kälte. In seiner Hand glänzt sein letzter Besitz auf dieser Welt. Ein abgewetztes Messer. Schartig und der Schaft notdürftig von einem Stück, groben Holz aufgenommen. Die Bettelschale hatte er am Nachmittag stehen lassen wo sie war. Und obwohl er immer noch mit sich ringt, hat er sich längst an den Abstieg in die eigene Hölle gemacht.

Benvenuto ist am Ende. Wochenlang ist er nun vor den Häschern und dem Gewissen auf der Flucht. Den Mann, den er tötete, folgt ihm in jeden Unterschlupf zu jedem Ort. Tagsüber schweigt er, lauert unter der Oberfläche des Bewusstseins. Nachts wenn Benvenuto sich zurückzieht, um nicht weiter aufzufallen, kommt er hervor. Klagt stumm an, sieht mit seinen gebrochenen Augen in das Herz seines Mörders. Holt jedes Unrecht, jeden Eigennutz Benvenutos hervor und lässt als Gräueltat und Verdammnis sein eigenes Leben ihn verfluchen. Allein der Hölle Grauen lässt ihn noch am Leben hängen. Fürchtet er doch nicht den Tod, sondern den Richter danach. Jeden Tag aufs Neue, flieht er den Ort der letzten Nacht. Einem Bühnenstück gleich durchlebt er seine Tat wieder und wieder. Stirbt Honorius durch seine Hand, nur für sein Verlangen nach einem Stück Brot. Oh, wie freudig würde er den Hungertod willkommen heißen, für die Reinheit seiner Seele.
Doch Benvenutos Gott ist eine grausame Kreatur. Unbarmherzig verstößt er ihn in die Feuergruben. Lässt Benvenuto kein Tor der Barmherzigkeit, ist er doch allwissend, allsehend und unversöhnlich.
Nun steht er vor den Toren der Stadt, die er floh und deren Gassen sich in sein Herz gebrannt haben, jede Nacht aufs Neue. Gleich dem Gang zum Henker schreitet Benvenuto zu der Stadtwache.
„Hier ist der, dessen Hände das Blut des Honorius vergossen. Lasst durch mein verwirktes Leben der Gerechtigkeit Genugtuung widerfahren. Auch wenn ich verstoßen bin, aus des güt´gen Gottes Garten, so soll doch meine Seele Frieden finden, durch das Lächeln Honorius ob meines Henkertodes!“