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Kurzgeschichte Witz

Nicht mit mir!

© Dan Prescot

Die gesamte Welt schrumpfte zur Bedeutungslosigkeit zusammen. Das gesamte Universum bestand ausschließlich noch aus drei Personen und deren Entfernungen zueinander. Dann erfolgte der Augenblick, dieser winzige Augenblick, indem alle einander gewahr werden. Dies kurze Zögern, das Zeit und Realität gegenstandslos werden lässt.

Doch die Zeit duldet keine Ausnahme und der Sekundenzeigen erschuf die Gegenwart neu.

Antonios Ex, Loraine! Ein Fluch ihr Name, eine Apokalypse ihr Erscheinen!

„Ramona, Schatz, schau wen ich getroffen habe!“

Seine Finger klebten immer noch an ihrem Körper! Besaß er denn keinen Anstand?

„Antonio, Schatz, ich sehe es.“

Ihr Blick spießte die Nebenbuhlerin auf wie ein Insekt. Ihre Stimme klirrte vor Kälte.

„Wir wollten gerade zu dir nach Hause und dir von der Neuigkeit erzählen.“

Loraine lächelte immer noch! Antonio war immer noch fröhlich! Ein leichter Zweifel stellte sich ein. Und doch, es konnte nur der Gleichmut sein, der einen vor dem unausweichlichen Ende befällt!

„Mit mir nicht, mein Lieber! Was glaubst du denn wie lange das unbemerkt geblieben wäre?“

Antonio zeigte das erste Mal so etwas wie Überraschung. Er blickte auf die Tragödie die er da im Arm hielt und wieder auf Ramona. Dann zog er den Arm verwirrt zurück.

„Aber, woher sollte denn jemand etwas erfahren? Wir hatten niemanden etwas erzählt. Und Loraine ist gestern erst hier eingetroffen. Alle Briefe hatte ich unter Verschluss, ich verstehe das nicht.“

„Ihr…, ihr habt das geplant?“ Ramona verlor den Boden unter den Füßen und taumelte.

„Natürlich! Loraine heiratet und ich soll der Trauzeuge sein! Ohne Planung geht das nicht. Wir sind zu der Hochzeit nach Italien eingeladen.“

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Kindergeschichten Kurzgeschichte

Ansichtssache

General Rosenthal besah sich die Situation des derzeitigen Frontverlaufs. Die Mariens saßen in der Klemme. Keine Frage. Es musste schnell gehandelt werden sonst würde die Einheit aufgerieben und der Frontabschnitt ging an den Gegner verloren. Der Feind, vermutlich der schwarze Schwadron, eine heimtückische und äußerst schlagkräftige Einheit, hatte die Mariens in die Zange genommen und eine Ausweichmöglichkeit gab es nicht, da sie im Rücken die Blue Mountains hatten. Die Situation war verzwickt. Der General überlegte ob er eine weitere Verstärkung schickte oder die WAFFE einsetzte. Mit jeder Minute Überlegung wurde die Situation unhaltbarer für die eigenen Truppen. Er entschied sich für den Einsatz der WAFFE:

Er gab den Einsatzbefehl. Es wurden nicht umkehrbare Maßnahmen in Gang gesetzt, die den weiteren Verlauf der Geschichte festklopften. Die Missile startete und überquerte die Hemisphäre. Kurz vor dem Einschlag bremste sie ab, öffnete sich und gab den Inhalt preis. Der Black Collar verließ den Träger und versah seine Arbeit. Der Supersoldat machte seine mächtigen Waffen klar und begann mit seiner Vernichtungsarbeit. Am Ende wäre dieser Weltabschnitt verbrannte Erde. Die Erde wurde aufgerissen, Lavafelder brodelten auf. Gebirgszüge rutschten talwärts. Armeen wurden hinweggefegt, Flugkörper vom Himmel gewischt und Panzerdivisionen in Stücke gerissen. Die Luft war mit gewaltigen Geräuschen des jüngsten Gerichts erfüllt.
Die Tür flog auf.
„Tobias, was machst Du denn für einen Höllenlärm! Das hört sich an wie der Weltuntergang! Ach du liebe Güte wie sieht denn dein Zimmer aus?
Jetzt schau was du angerichtet hast! Räum sofort auf, hast Du mich verstanden?“
Der General sah sich die verunstaltete Welt an und dachte an all die Arbeit die der Wiederaufbau mit sich bringen würde. Er wandte sich an die einzige andere Person in dem Schutzbunker, „Mother“.
„Dafür brauche ich Hilfe, das werde ich nicht alleine schaffen.“
Seine Mutter verdrehte die Augen und seufzte.
„Wasch deine Hände, wir wollen essen.“

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Kurzgeschichte

Wie die Dinge sich fügen…

Als ich in die Nebenstraße einbog, setzte zwei Fahrzeuge vor mir ein roter Van den Blinker und machte eine schöne geräumige Parklücke, für mich frei.

„Na“, dachte ich, „dir auch noch einen schönen Nachmittag und Danke auch.“

Damit besetzte ich den scheinbar einzigen freien Platz, in den völlig überfüllte Stadtviertel am Samstagmittag. Gut gelaunt und ohne Zeitnot ging ich in die Fußgängerzone, um meine Verabredung in einer halben Stunde zu treffen. Auf den Weg zum Eiskaffee stoppte ich mal vor diesem, mal vor jenem Schaufenster, um die Auslagen zu studieren. Diverse Autofirmen stellten die neuesten Modelle zum Probesitzen aus und verteilten freizügig Luftballons und Popkorn. „Popkorn“ dachte ich mir, „wäre jetzt gar nicht schlecht“ und schlenderte zu der netten Dame, die gerade wieder eine Tüte befüllte. Für mich, wie sich jetzt herausstellte. Mich höflich bedankend, setzte ich mich wieder in Bewegung, zu meiner Verabredung. Die örtliche Zeitung hatte, auch einen Stand aufgestellt und warb mit Probeabos und Freiexemplaren um die Gunst der Käufer. „Zeitung,“ dachte ich, „ist gut, weil meine Verabredung manchmal recht unpünktlich war. So nahm ich also mein Probeexemplar in Empfang und ging weiter in Richtung zu meinem Treffpunkt. Einige Meter hinter einem Autohändler teilte eine Partei, die ich zwar nicht mochte, die aber einen schönen Kaffeebecher mit noch besseren Kaffee darin, großzügig an die potentiellen Wähler aus. Interessiert bat ich um das Werbegut plus Inhalt welche mir umgehend und mit freundlicher Mine ausgehändigt wurde. Sofort versuchte man mich in ein Gespräch zu zwingen. Da ich zwar noch gut in der Zeit lag aber ich weiter gemächlich schlendern wollte versprach ich intensiv über die Vorzüge dieser Partei nachzudenken und schlenderte weiter. Als der Kaffe getrunken und das Popkorn gegessen war, erreichte ich das Eiskaffee und hielt nach einem freien Platz Ausschau. Vergebens. Etwas überrascht suchte ich noch mal alle guten Plätze. Nichts! OK, sagte ich mir, ruhig bleiben. Ich sah genauer hin. Nichts! Stop, dort hinten ein Tisch mit nur einer Dame. Die geht bestimmt gleich. Höflich fragte ich ob ich mich mit an den Tisch setzen könne bis etwas frei würde. Die Dame lächelte und deutete mir, mich zu setzen. Wir unterhielten uns recht angeregt eineinhalb Stunden. Auf den Rückweg dachte ich noch angestrengt über einen Urlaub nach, der mir noch fehlen würde…

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Kurzgeschichte

Schattenwelt

© Dan Prescot

Er ging durch die nassen Straßen der grauen Stadt. Schneematsch säumte die Straßenränder. Von seinen Haaren lief das kalte Wasser über seinen Nacken den Rücken hinunter. Er spürte es kaum. Die wenigen Menschen denen er begegnete spien weißen Dampf aus ihren Mündern. Niemand berührte die Welt des Anderen. Sie hätten genauso gut auf verschiedenen Welten sein können. Seine Augen sahen die Welt zersplittern. Eine in Licht getauchte, grelle, hektische Welt und eine in Dunkelheit gehüllte, ruhige vergessene Welt. Freundliches Vergessen. Ein träges, schmerzauslöschendes Vergessen. Er schloss die Augen und ging in die Schatten.

Die Notiz der anderen Personen kam zu spät.

Der Rettungswagen kam zu spät.

Die Reue kam zu spät.

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Kurzgeschichte

Wolken am Grashalm

Es summte. Der Busch, der an dem Schuppen hoch wuchs, summte vor Bienen. Weiße unscheinbare Blüten lockten allerlei Insekten an, aber vor allem eben Bienen. Zwischen dem Schuppen und dem Nachbarzaun ging ein Weg zu der Wiese. Dort standen eine Holzbank, ein steinernder Wasserspeier mit einer eingemeißelten Fratze, der aber niemals Wasser spie und rundherum waren verwilderte Beete. In diesen Beeten wuchs und wucherte das Unkraut. Doch es roch herrlich. Wilde Blumen wuchsen auf der Wiese, die immer zu lang war und selten gemäht wurde. Schmetterlinge flatterten unschlüssig von einer Blume zur anderen. An den Rändern des Gartens standen hohe Bäume, die vom Efeu langsam erdrosselt wurden. Dicht, ganz dicht und geheimnisvoll waren die Baumkronen zugewachsen. Viele Vögel versteckten sich in diesem Kleinod inmitten der Stadt. Über allem lag der Duft des kleinen Kräuterbeets. Je nach der Woche, ja sogar der Tag spielte eine Rolle, herrschte ein anderer Geruch vor. Mal scharf und wild, mal würzig und auch schon mal süß.

Die Blüten der Büsche und Bäume und auch die Blumen auf der kleinen Wiese kleideten den Garten in ein lebendes Gewand, das sich im Wind bewegte und mit den Jahreszeiten wechselte.

Wenn ich den Garten betrat, nahm ich eine Ausstrahlung wahr wie bei einem Menschen und fühlte seine Stimmung, die mich stets willkommen hieß.

Manchmal ließ ich mich in das Gras fallen. Links und rechts stiegen die Grasstängel in den Himmel und versuchten nach den Wolken zu stechen. Wie Zuckerwatte, eben Wolken am Grashalm. Der warme Wind bewegte die Wiese wie einen Haarschopf und flüsterte einem lustige Geschichten in die Ohren. Dabei malte er unsichtbare, geheime Zeichen auf meine Haut. Mal mit einem leichten Wogen wie in einem Ozean, mal als wild tanzender Derwisch.

Prickelndem Brausepulver gleich fühlte die Haut das Gras. Ein Bett aus grünem Traum. Wolken, die über die Sonne zogen, morsten geheime Botschaften auf mein Gesicht.

Armeen von Käfern erkundeten die neue Landschaft, die plötzlich aufgetaucht war. Wenn ich die Augen schloss, huschten Schatten über die abgedeckte Netzhaut und ließ Geschöpfe entstehen, die ihre Gestalt und Charakter nur der Fantasie verdankten.

Dies war das vergessene Reich, der Ort, an dem alles versprochen und nichts verlangt wurde. Hier war Geborgenheit, die kein Mensch nehmen konnte.

Die Zeit hat ihren Tribut gefordert und die Insel mit sich genommen. Manchmal entdecke ich noch etwas von diesem Eiland. In einem Lied, einer Geschichte, einer Landschaft oder auch an einem Menschen. Doch das alles sind nur Bruchstücke, um die Erinnerung wach zu halten. Als Ganzes gibt es den Garten nur noch in meinem Herzen, wo ich ihn oft noch besuche. Dann schreite ich wieder durch das Gras und höre die Vögel. Rieche die Kräuter und sehe die Wolken zwischen den Baumkronen ziehen. Dann wird lebendig, was so lange schon gegangen ist.

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Kurzgeschichte Leben

Dämmerung

Jean war jetzt das zweite Jahr an das Bett gefesselt. Ich hatte ihren langen Kampf gegen die Krankheit mitverfolgt. Mitverfolgen müssen! Dieses aussichtslose Auflehnen und die täglichen vielen kleinen Schlachten gegen das Vergessen. Ihr allmähliches Abgleiten in die Dunkelheit.

Ich wusste, dass der heutige Tag ihr letzter war. Seit einigen Stunden saß ich nun an ihrem Bett und wartete. Meine Gedanken weilten in der Vergangenheit und schreckten vor der Zukunft zurück. Dieses stumme Stehenbleiben während alles weitergeht. Dieses entsetzliche Verblassen von allem, was Jean einmal ausmachte.

Sie lag auf dem Krankenbett und ihre Augen blickten lichtlos, ohne Fokus in das Nichts. Schwer hob und senkte sich ihr Brustkorb. Rang um jeden Atemzug. Ich stand auf und schaute in ihr Gesicht. Die Wangen eingefallen und fahl. Die Augen leer.

Ich hielt den Atem an. Da war etwas, nicht greifbar und formlos. Doch-da war etwas. Anders als in den Erinnerungen, ungezwungener, freier doch eindeutig Jean. Nur flüchtig und nur einen winzigen Augenblick. Dann war der Faden wieder verloren. Noch immer hielt ich den Atem an. Dann senkte sich ihre Brust ein letztes Mal. Ruhig verströmte sie ihren letzten Atemzug. Ihre Augen brachen und alles war ruhig.

Nur draußen in der Nacht trommelte der Regen gegen die Fensterscheiben.

Das Geräusch drang an ihr Ohr. Zusammenhang und bedeutungslos. Früher mochte sie das Geräusch. Es vermittelte ihr Geborgenheit und Ruhe.

Ihre Augen sahen Licht und Schatten, Farben und Bewegung. Doch nichts davon nahm sie wirklich war. Der schwache, säuerliche Geruch von Verfall erreichte sie längst nicht mehr.

Jeans Welt bestand ausschließlich aus Gefühl und Reaktion. Sie kannte kein Gestern und kein Morgen. Das Jetzt war unmittelbar. Immer seltener durchbrach etwas ihre Isolation. Die Müdigkeit ließ ihre Perioden des Dahindämmerns länger und inhaltsloser werden. Nur manchmal blitzte so etwas wie Erkenntnis, Erinnerung auf. Dann wurde Jean unruhig. Immer wieder entglitten ihr die Gedanken, sie ahnte den Verlust. Dann wurde sie traurig. Doch auch den Grund dafür vergaß sie bald. Dann war sie nur noch traurig. Und schließlich verging auch das.

Jean aß und trank nicht mehr von allein. Sie fühlte den Hunger und den Durst, doch kannte sie die Bedeutung nicht mehr. Irgendwo in ihrem Gehirn hatte sich das Leben verbissen. Millionen Jahre Evolution sorgten mit eiserner Kraft für die Kontraktion des Herzmuskels und der Lungentätigkeit. Herzschlag für Herzschlag. Atemzug für Atemzug. Der Geist hatte den Körper längst verlassen. Doch manchmal hob sich der dunkle Vorhang für Augenblicke, um entsetzt zurückzuschrecken. Ihre Träume waren bar jeder Erinnerung ohne Erkennen. Unbefleckt, ohne die Traumata des Lebens. Wie ein Neugeborenes, so rein. Licht und Farben ohne Namen, Freude und Traurigkeit. Immer öfter tauchte sie in diese reine Sphäre, die zu ihr gehörte. Ihr Schutz vor dem Unbehagen, der Angst und Hilflosigkeit.

Bald kannte sie die Grenze ihrer Welt. Diese Barriere, die sie nicht durchblicken konnte. Diesen letzten Schritt, der sie zurückhielt und behinderte. Doch etwas Neues war da. Etwas zog sie auf die andere Seite. Einen kurzen Augenblick schaute sie zurück um dann ohne Mühe und gelassen hinüberzuschreiten.

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Kurzgeschichte Leben

Rose´s Garden

Graue Wolken zogen in einem nicht end

en wollenden Strom über Rose dem Horizont entgegen. Der Wind zerrte und zupfte an ihrer Kleidung, gerade so als wolle er, dass sie ihn auf seiner Reise begleitete. Sie stand am Rand ihres Gartens und schaute den Vorboten des nahenden Unwetters hinterher.

Schon rollte das erste dumpfe Grollen über die Hügel und Ebenen der einsamen Gegend. Rose wandte sich ab und ging über den von Blumenbeeten gesäumten Pfad, den ihr Mann Fred noch selbst mit Ziegeln gepflastert hatte, auf ihr Haus zu. Sie hatte damals die Rosenstöcke gepflanzt und trotz der Kinder und der Hausarbeit die Zeit gefunden, den Garten zu pflegen. Sie kannte und liebte jeden einzelnen Winkel, jede Pflanze und jeden Strauch. Ihre Rosen waren ihr Leben. Der kommende Regen würde gut für den Boden sein. Doch wenn Hagel dabei wäre, würden die Blumen leiden. Wieder blickte sie zum Himmel auf. Die Wolken waren hoch und dunkel. Bestimmt würde Hagel kommen. Als erste Ankündigung der kalten Jahreszeit. Rose blieb vor den Rosenstöcken stehen.

Sie hatte sich damals auf die modernen Rosensorten festgelegt, weil die nicht so füllig in den Blütenständen ausfielen und sie für Rose die feine Eleganz und Einzigartigkeit der Rosen verkörperten. Sie liebte die helle, cremige Farbe, die klare Linie und den intensiven Duft der Julia´s Rose. Ihre Freude war der Farbverlauf von hellem Rot in intensives Gelb der Double Delight mit den weit auffächernden Blütenblättern. Doch immer wenn sie an den Stöcken der Remember Me – Rosen innehielt, mit ihren feinen Linien, dem intensiven Rosé und dem atemberaubenden Duft, dann war sie in Gedanken bei ihrer Familie. Fred hatte sie ihr damals zum dritten Hochzeitstag geschenkt. Es waren die ersten Rosen für ihren Garten gewesen. Sie hatten gerade das Haus gekauft und oft war das Geld knapp und die Not groß gewesen. Die Rosen waren mit der Familie gewachsen und hatten sie dabei durch alle Höhen und Tiefen über die Jahre begleitet. Hatten in der Not Trost gespendet, mit dem Kinderlachen farbenfroh geblüht und nach Freds Tod die Einsamkeit mit ihr geteilt. Auch ihre Zeit war nah. Sie konnte spüren, wie das Leben sich stückchenweise von ihr zurückzog. Es betrübte sie zu wissen, dass sich niemand mehr um das Haus, den Garten und besonders um ihre Rosen kümmern würde. Keines ihrer Kinder mochte hier leben. Sie hatte versucht, einige Zimmer zu vermieten aber niemand hatte sich auf die Anzeigen hin gemeldet. Letztlich war es gut so, sie hätte es doch nicht ertragen, Fremde in ihrem Haus zu wissen.

Behutsam fuhr sie mit der Hand über die samtigen Blüten ihrer Rosen, über die noch nicht erblühten Knospen, die prachtvollen Blütenstände und die welken Blätter. Jeder Windstoß riss neue Blätter aus den Büschen und ließ sie in einen Blütenregen aus Rosenblättern eintauchen.

Sie zog das Tuch um ihre Schultern enger an sich. Es wurde kalt. Ihr Blick fiel auf eine der Blüten. Die Blätter am Rand waren ein wenig eingerollt, in der Mitte war die Knospe noch fast geschlossen und die Blütenblätter an der Spitze leicht nach außen gewölbt. Die rosa Farbe war kräftig und wurde zum Rand hin blasser. Durch das schwindende Licht wurden die Zwischenräume der Blütenblätter zu dunklen Akzenten, die die Schönheit dieser Blüte betonten. Der Geruch war betörend und beschwor Erinnerungen aus glücklichen Tagen herauf. Nichts störte die Vollkommenheit dieser Rose. Sie war gut. Es war gut. Rose lächelte.

Diese Blume war das Dankeschön aus all der Zeit, all der Not und Arbeit. Gedankenverloren streckte Rose ihre Hand aus, um die Blume zu brechen. Und hielt inne. Nein, keine Vase, kein Gefäß konnte diese Schönheit aufnehmen. Nichts wurde ihr gerecht. Nur die Zeit, die Arbeit und die Liebe, die in dem Stück Erde steckten, die sie umgab. Liebevoll berührte Rose die Blume. Ja, es war gut. Für einen kurzen Augenblick war alles vollkommen und ein tiefer Frieden erfüllte sie.

Dann ging sie ins Haus, zu all den Erinnerungen. Rose setzte sich in ihren Lehnstuhl, um sich von diesem Tag, von diesem Leben auszuruhen und schlief ein. Sie hörte nicht mehr, dass die ersten Hagelkörner auf das Dach des Hauses fielen und die dunkle Jahreszeit verkündeten.

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Hund Kurzgeschichte Tiergeschichten

Geisterhund

Baskerville
© Dan Prescot

„Verflixtes Weibstück!“ Dachte Henry.

Beryl würde ihn, Henry, noch ins Grab bringen! Er hatte, als er den Landsitz in Dartmoor durch Erbschaft in Besitz genommen hatte, sich in die Schwester des zwielichtigen  Naturforschers Stapleton verliebt und nachdem Stapleton seine gerechte Strafe ereilt hatte, geehelicht. Doch bei Gott, manchmal glaubte er, er hatte einen Familienfluch geehelicht statt einer Frau! Es hätte ihn schon auffallen müssen als ihr gemeinsames Glück durch die Geburt seines Erbfolgers seinen Höhepunkt erreichte. Beryl hatte auf den skandinavischen Namen Ole bestanden! Meine Güte, er war durch Jahrhunderte dem englischen Landadel verpflichtet. Im Taumel seines Glücks hatte er nachgegeben und nun hieß der zukünftige Erbe des Landstrichs Dartmoor Ole Charles. Nun zu mindestens hatte er sich im Bezug auf dem zweiten Vornamen Charles durchsetzen können. Es war der Name seines Erbonkels, dem er seine jetzige Position und Stellung in der Gesellschaft verdankte. Zum Teufel, jetzt war die neueste Idee von Beryl sich eine Hundezucht zuzulegen. Sicher, eigentlich ist es für den Adel nicht unüblich eine eigene Hundemeute für die Jagd zu halten. Trotzdem, er hatte ein ungutes Gefühl. Die Jagd schauderte ihn.

Beryl blickte zu ihren Gatten:“ Himmel er ist so verknöchert!“ Ja damals als er sie vor ihren Bruder errettete, erschien er ihr wie ein Ritter. Von adliger Herkunft, gebildet, stark und gutaussehend. Was war davon geblieben? Ein in Tradition erstarrter und verknöcherter Möchtegern Adliger. Die hohe Gesellschaft akzeptierte halt keine Kanadier. Auch keine  lose Verwandtschaft um was weiß ich wie viele Ecken. Was soll´s? Wenn er wenigstens ein wenig moderner sein könnte. Gerade hatten sie die Jahrhundertwende hinter sich gebracht. 1901, die Welt änderte sich. Ja. Die Welt änderte sich. Nur eben Henry nicht! Ole sollte von den Veränderungen profitieren und nicht in den alten Traditionen ersticken. Deshalb hatte sie Ole den Floh mit dem Hund ins Ohr gesetzt. Wenn er mit ihm spielte konnte er sich und alten Mauern vergessen und ausgelassen toben. Beryl erinnerte sich wie Ole reagierte: „Ein Hund“ sagte Ole mit beinahe träumerischer Begeisterung. Sie lächelte als sie an die Situation dachte. Was sollte schon schiefgehen?

„Sind sie sicher?“ Der Mann hinter dem Pult betrachtete die Szene. Seine Finger spielten mit einem Namensschildchen für die neuen Besitzer.

Ein kaum 1,60m großer Jugendlicher mit einem Hund der fast genauso groß war. OK, der Hund und der Junge schienen sich zu mögen. Allerdings steckte niemand in dem Kopf des anderen. Ihm war das zu gefährlich. Wäre es sein Kind würde er es nicht erlauben. Diese durchgeknallten, verknöcherten, möchte gern Adligen…

„Also gut, ich brauche für die Papiere noch ihren Namen.“

„Baskerville, Henry Baskerville“ antwortete Henry.

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Kurzgeschichte Leben

Schönes Land

Schönes Land
© Dan Prescot

Kuamo lief den staubigen Weg aus dem Dorf Richtung asphaltierte Straße. Der ockerfarbene Staub hatte sich bereits auf seine dunkle ausgeblichene Stoffhose gesetzt. Ein Stück Strick hielt die zu große Hose auf den schmalen Hüften des dunkelhäutigen Teenagers. Die roten zerschlissenen Turnschuhe hatte er vor langer Zeit aus der Rot-Kreuz-Station bekommen. Damals waren sie schon alt. Einzig das T-Shirt war von seiner Familie neu erworben worden. Allerdings war Kuamo als Viertgeborener eben der Vierte der es trug. Und bestimmt würde er es an seine zwei jüngeren Geschwister weitergeben.

Kuamo schlenderte weiter den Weg entlang, vorüber an den jungen, grünen Pflanzen und Palmen. Er sollte seinen älteren Bruder an der Straße ablösen, der die wenigen Früchte die die Familie entbehren konnte, an die Besitzer der Fahrzeuge an der Straße zu verkaufen. Sie waren reich, sie mussten reich sein. Könnten sie sich sonst ein Auto leisten? Er hob einen Stock auf und schlug dann und wann auf irgendwelche Pflanzen ein, um den eintönigen Marsch zu verkürzen. Als er sich der Straße näherte, hörte er Geschrei. Kuamo ließ den Stock fallen und verbarg sich hinter den mächtigen Stamm eines Flaschenbaumes. Ganz leise, kaum das er zu atmen wagte, schaute er zwischen den Pflanzen und den blühenden Büschen hindurch zu der Straße, wo sein Bruder seien sollte. Fünf Jungen und Mädchen in Armeeanzügen und Waffen in den Händen schrien seinen Bruder an. Ab und zu schlugen sie ihn mit den Gewehrkolben. Sein Bruder schwieg. Er weinte nicht einmal. Obwohl es sehr wehtun musste. Kuamo hielt den Atem an. Sein Bruder musste aufstehen und den Kindern der Rebellenarmee in das Unterholz folgen.

Kuamo weinte für seinen Bruder.

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History Kurzgeschichte

Damals

© Dan Prescot

Ich erinnere mich, dass meine Großeltern einmal erzählten, früher gab`s so etwas nicht, früher war alles besser. Ich kann gar nicht mehr genau sagen was das eigentliche Thema so eskalieren ließ, aber im Wesentlichen ging es wohl um die unzuverlässige Jungend im Allgemeinen und die jetzige Generation im Besonderen und schlussendlich meines Vaters Sohn im Speziellen. Alles Klar? Ich war also schuldig!

Meine Güte, habe ich mir was anhören müssen. Das Pflichtbewusstsein sei der heutigen Jugend vollständig verlustig gegangen und sie hätten wenigstens versucht ihren Kindern ein wenig Vernunft einzubläuen, was aber offensichtlich nicht gereicht hätte, da ja schon eine Generation weiter alles was mit Pflicht, Tradition und Ehre den Eltern gegenüber zu tun hatte, verloren wäre! Das ganze Versagen wiege den Großeltern gegenüber natürlich doppelt so viel. Meine Eltern schwankten in ihrem Standpunkt ein wenig mit dem Wind. Einerseits versuchten sie mich zu verteidigen und schoben mein verantwortungsloses Handeln auf mein schwieriges Alter von 16 Jahren. Anderseits beschlich sie wohl eine Mischung teils aus eingeredeten, erzieherischen Versagertum und teils berechtigten, notorischen Misstrauens gegenüber pubertierenden, pflicht- und verantwortungslosen Teenagern.

Ich muss natürlich zugeben, so ganz zu unrecht erhielt ich die Standpauke ja nicht. Hatte ich doch nach eigenen Angaben Opas besten Wacholder auf der Dorfhauptstraße verteilt, als die Pulle von dem Gepäckträger meines Rennrades rutschte.

Ich sei bestimmt wieder wie ein Geisteskranker durch die Kurven gejagt oder hatte ich womöglich das Fahrrad wieder so abgestellt, dass es umfallen musste während ich über irgendwelchen Teenagermist mit den Gleichaltriegen quatschte und der arbeitenden Klasse die Zeit stehle. Oder noch schlimmer, ich würde den Dorfschönheiten hinterher steigen, lange genug hatte es ja gedauert bis ich vom Einkauf zurück war. Ich solle ja aufpassen und kein Kind anschleppen! Dann würde ich den Weltuntergang kennen lernen!

Der Einwand es würde aber immer noch um eine olle Pulle Schnappes gehen und nicht um eine Grenzverletzung an der ostdeutschen demokratischen Republik, brachte mir eine gezeterte Strafpredigt und eine gestreckte, linkshändige Ohrfeige ein.

Oho! Ich will nicht so sehr ins Detail gehen aber nur ganz kurz: Ich nehme mal an, sie sind auch nicht ganz unerfahren im Umgang mit Ohrfeigen? Egal, ob verteilend oder empfangend? Nun, diese Watsche war schnell. Sie war schallend und sie trieb einem auf eindrucksvolle Weise die Röte in das Gesicht und die Tränen in die Augen!

Mit wenigen und in ruhigen Tonfall gesprochenen Worten, erbot ich mich eine neue Flasche Wacholder von dem 1 km entfernten Einkaufsladen zu holen. Ob meines reumütigen Verhaltens händigte man mir ein weiteres Mal den Kaufpreis aus und mit ruhigen, gleichmäßig schneller werdenden Pedalhub entfernte ich mich hocherhobenen Hauptes und mit gepeinigtem Geist und Körper von meinem Elternhaus.

Soso, ich war also unzuverlässig! Denen werde ich es noch zeigen. Ohne weiteren Zwischenfall kam ich umgehend wieder nach Hause und händigte mit steinerner Mine das Streitobjekt aus. Dann erklärte ich dass ich zu meinen Kumpels wollte und ich mich nur noch versichern wollte ob denn für die Herrschaften alles zu ihrer Zufriedenheit geregelt worden sei. Ich entkam dem folgenden Zornausbruch weil ich mich in meiner Weitsicht schon an die Haustür gestellt hatte und ich die zum Teil sehr lauten Worten als ein „Ja es ist alles in Ordnung und du kannst gehen“ interpretierte. Ich hechtete auf mein Rennrad und raste wie ein Geisteskranker durch die Kurven. Nach einem kleinen Abstecher und etwa 15 Minuten erreichte ich den vereinbarten Treffpunkt in einem nahe gelegenen Waldstück. Alle meine Kumpels und natürlich auch die Dorfschönheiten waren schon versammelt. Auf die Frage wo ich denn so lange gesteckt hätte antwortete ich grinsend ich hätte den Abend gerettet. Und Simsalabim zog ich eine Flasche Wacholder aus dem Inneren der Jacke.

An dieser Stelle endet meine Geschichte aber es soll noch auf einige Dinge hingewiesen werden:

Erstens, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Großeltern sind natürlich rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Und zweitens, nein, natürlich ist diese Geschichte reine Fiktion. In Wahrheit mag ich gar keinen Wacholder! Schon seit meinen 16. Lebensjahr nicht mehr.