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Science Fiction

12.Kapitel -Thesen-

© David Scholtissek

„Also, sie ist blond! Sie ist ein wenig kleiner als ich und ihre Augen sind blau. Sie hat sehr schmale Finger und feine Gesichtszüge. Eine kleine Nase.

Ihre Haut hat eine Blässe, die ist so hell, elfengleich. Und sie scheint traurig oder melancholisch. Ich…ich weiß nicht. Ihr Körper ist perfekt. Ich meine, ich glaube er ist perfekt. Ich… Herrgott…“

„Ja?“

„Du weißt schon!“

„Nein, weiß ich nicht. Erklär´s mir.“

„Verdammt! Ich habe das Gefühl, sie bis ins Kleinste zu kennen. Ihr Aussehen, ihre Bewegungen und ihre Berührungen, selbst ihren Geruch. Ich kenne sie, irgendwoher!“

„Ja, scheinbar. Kennst Du auch ihre Blutgruppe? Ich kenne meine Schwester nicht so gut, wie du diesen Sukkubus. Wann ging das los?“

„Oh, etwa vor einem halben Jahr.“

„Einfach so? Kein Anlass? Hm.“

Er greift wieder zu seinen Zigaretten.

„Man, du weißt schon das du viel rauchst?“

„Ja, bringt einen um. Vor einem halben Jahr, sagst du? Ich weiß nicht. So wie du sie beschreibst ist sie das Gegenteil von Aurora. Keinen Hinweis auf die Umgebung, keine dominierende Farbe?“

„Nein, warte. Vielleicht Gelb. Hatte so ein Déjà-vu.“

„OK, immerhin etwas. Déjà-vu sagst du? Das könnte ein Schlüssel sein.“

„Na ja, vor einigen Wochen wollten wir zu der Party und Aurora hatte dies gelbe Sommerkleid angezogen. Ich hätte schwören können ich kenne das Kleid, die Farbe. Ich hatte ein ähnliches Gefühl wie bei meinem Geist. Aber nichts Greifbares.“

„Du irrst dich. Das ist schon mal eine ganze Menge. Das Interessante daran ist das Déjà-vu. Also, welche Möglichkeiten gibt es? Vielleicht bist du ihr in einem anderen Leben schon mal begegnet? Voraussetzung ist natürlich du glaubst an so etwas wie Reinkarnation.“

Ich muss grinsen.

„Nein, eigentlich nicht. Es ist keine Voraussetzung, dass ich daran glaube. Wenn es so etwas gibt, gibt es das auch, wenn ich nicht daran glaube.“

Hendrik grinst zurück.

„Touché! Hast natürlich recht.“

„Gibt es überhaupt etwas das nur dadurch real wird, dass man daran glaubt?“

„Wenn du schon danach fragst, ja gibt es. Dion Fortune hatte in ihrem Buch Die mystische Kabbala Andeutungen darüber gemacht. Wenn ich mich richtig erinnere, ging es darum, durch geistige Arbeit Eindrücke in dem Weltbild zu hinterlassen. Man platziert eine Idee oder Eindruck in dem Gesamtwissen der Menschheit. Dion Fortune war Priesterin in dem Orden Hermetic Order of the Golden Dawn.”

“.. und die haben was gemacht?“

„Ich erinnere mich an einem Abschnitt aus dem Buch, in dem der Schüler sich eine Wüste vorstellen sollte und mit den Gedanken in der Wüste eine Rose aus dem Sand wachsen lassen sollte. Immer wieder.
Irgendwann wurde jemand anderes gebeten sich eine Wüste vorzustellen und den ersten Gedanken, der ihn dabei durch den Kopf ging auszusprechen. Viele dachten dabei an die Rose. Ohne zu wissen warum.“

„Wow, auf die Idee muss man erstmal kommen.“

„Ja nicht wahr, interessant. Zurück zu deinem Sukkubus.“

„Kannst du bitte aufhören sie einen Sukkubus zu nennen?“

Er schaut mich an. Nimmt einen Zug von der Zigarette und bläst den Rauch seitlich aus.

„Klar, also deinen Geist?“

Ich reagiere nicht, was er als Zustimmung wertet.

„Da fällt mir noch eine Erklärung ein. Das Ganze nennt sich Mandela Effekt. Man glaubt sich an etwas zu erinnern, das sich anders zugetragen hat. Beispiel; kennst du das Monopoly Männchen?“

„Klar, habe ich oft gespielt.“

„Ich meine die stilisierte Figur, die wie ein Bankier aussieht?“

„Ach so, ja auch das kenn ich.“

„Ok, beschreibe mir wie das aussieht.“

„Wie? Was soll ich beschreiben? Hast du doch schon gesagt, sieht aus wie ein Bankier. Mit einem Geldsack und so.“

„Geht es etwas genauer? Was hat er auf dem Kopf, das Gesicht was hat es in den Händen?“

„Puh. Also es hat einen Zylinder auf, einen Spazierstock und einen Geldsack in den Händen, trägt einen Frack, hat einen Schnurrbart und ein Monokel.“

Er grinst und drückt die Zigarette aus.

„Falsch! Kein Monokel. Aber schon nicht schlecht. Ein sehr hoher Prozentsatz der Bevölkerung erinnert sich an ein Monokel bei dem Monopoly Männchen. Hat es aber nie gegeben. Nicht in der Werbung und auch auf keinem Spiel.“

„Ich verstehe nicht wie mich das weiterbringen soll?“

„Okay, anderes Beispiel: Kennst du die Skulptur Der Denker?

„Du meinst den hockenden Nackedei, mit der Faust unter dem Kinn?“

„Das klappt ja prima! Genau der. Also, es gibt Bilder von Personen, die vor oder neben der Skulptur die Pose nachahmen. Der Clou; sie haben die Faust an der Stirn!“

„Ich versteh immer noch nicht! Was soll mir das sagen?“

„Wenn ich vor der Skulptur stehe und die Pose nachahme, wie groß ist die Chance das ich das falsch mache?“

„Klein?“

„Nehmen wir mal an, sie haben sich nicht vertan. Was ist also passiert?“

„Es hat sich etwas verändert?“

„Genau! Es hat sich etwas verändert. Die Realität! Die Personen erinnern sich an das Original. Die Faust an der Stirn! Aber die Realität hat die Faust an das Kinn wandern lassen. Warum auch immer. Wichtig ist die Erinnerung der Personen, die sich ablichten ließen. Für sie ist die Faust immer noch an der Stirn. Zu mindestens zum Zeitpunkt des Fotos.“

„Was meinst du, bedeutet das für mich?“

„Was, wenn du deinen Geist aus einer anderen Realität kennst? Eine die sich nicht manifestiert hat?“

Ich überlege wie diese Möglichkeit in meine Vorstellung passen würde. Das war so abgehoben, dass es meine Vorstellung sprengte.

„Ich weiß nicht, ganz schön weit hergeholt!“

„Hey, wir spielen doch nur rum. Kann auch eine ganz einfache Erklärung sein.“

„Ja, welche?“

Er holt eine weitere Zigarette aus seiner Jackentasche zündet sie an und grinst.

„Na, du kommst aus einem Paralleluniversum!“

„Blödmann!“

*

„Das wäre zumindest die gängigste Theorie, die einiges erklären würde. Aber wie gesagt wir spielen ja nur rum.“

„Die Theorie behagt mir nicht besonders. Eine unendliche Zahl an Originalen von mir, die unendliche Varianten von möglichen Existenzen durchlaufen. Irgendwie gruselig.“

„Na, wenigstens würdest du alle Fehler die möglich sind ausprobieren. Das wäre doch was.“

„Super! Unglaublich viel Leid, noch mehr mäßige bis relativ angenehme Leben und nur ein einziges, perfektes, makelloses, mögliches Leben.“

„Hm, so habe ich das noch nie gesehen. Bis jetzt habe ich immer nur die unglaubliche Möglichkeit darin betrachtet. Aber ich glaube du hast recht. Es würde in allen Varianten immer nur ein optimales Ergebnis geben.“

„Mal von der unglaublichen Platzverschwendung abgesehen.“

„Also ich glaube nicht, dass das ein Problem ist. Das Nichts mit allen möglichen Varianten des Leben zu befüllen, bedeutet immer noch, mehr Nichts als genutzter Raum.“

„Das außer Acht gelassen, müsste ich dann nicht auch Träume von anderen Begebenheiten haben, von anderen Personen?“

„Und wenn es die eine Variante wäre, die deinem Ideal, deinem persönlichen Nirwana, deinem Garten Eden am nächsten kommt?“

„Warum bin ich dann der einzige, der so einen Geist hat? Wo ist dein persönlicher Garten Eden, der dich jede verdammte Nacht heimsucht und dich ahnen lässt was du nicht hast?“

Hendrik mustert mich als ob ich gerade mein Coming out habe. Mit einem Räuspern zieht er sich die nächste Zigarette aus der Jackentasche.

„Ich beginne zu verstehen was du meinst. Wenn es nur Einen oder nur einige Wenige mit dem Geistproblem gibt, ist die Wahrscheinlichkeit für ein persönliches Nirwana für Jedermann vom Tisch. Oder der Rest der Menschheit hat ein schlechtes Gedächtnis.“

Hendrik grinst.

„So ein Mist. Ich habe meine ewige Liebe vergessen! Ob das wohl schlimmer ist, als ein vergessener Geburtstag?“

„Nicht witzig!“

„Doch, ist es. Mir macht unser Gespräch jedenfalls eine Menge Spaß.“

„Ja, mir doch auch. Aber ich hatte gehofft eine Erklärung zu dem Problem zu finden.“

„Wir sind doch schon ein ziemliches Stück vorangekommen. Ich finde die Idee mit der nicht manifestierten Realität auch recht interessant.“

„Okay, mal angenommen…“

Hendrik grinst und bläst den Rauch zur Seite aus.

„… mal angenommen, es ist so. Ich habe also jemanden in einer möglichen Variante der Realität kennengelernt. Jemand der einen so nachhaltigen Eindruck auf mich gemacht hat, das es nachwirkt, so wie jetzt. Wieso befinde ich mich dann ich dieser Realität und nicht in der Anderen?“

„Das ist eine gute Frage. Vielleicht doch ein Multiversum?“

„Nein, hatten wir doch ausgeschlossen. Dann müsste es jeden so wie mir gehen, oder der größte Teil der Bevölkerung hat Amnesie.“

„Vielleicht hat irgendein Ereignis die Manifestation der Realität verhindert?“

„Was könnte mich davon abhalten die Realität, die meinem Nirwana entspricht, zu folgen?“

„Etwas das außerhalb deiner Möglichkeit liegt!“

„Kann nicht sein. Nicht in der Realität die meinem Nirvana entspricht. Ich hatte doch was ich wollte.“

Hendrik schaut mich lange an.

„Wenn es nicht ein Ereignis außerhalb deiner Möglichkeit ist, dann kann es nur…“

„…selbstgewählt sein!“

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