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Kurzgeschichte

Der Traumwald

© Dan Prescot

Wald aus Träumen.

Jede Nacht wandeln wir unter seinem Blätterdach und kosten von seinen Früchten.

Jeder folgt seinem eigenen, scheinbar willkürlichen Pfad. Und doch gehen wir den Weg, den uns unsere Emotionen vorschreiben. Kein Gefühl wird ausgelassen, alles wird ausgelebt, ausgekostet aber auch aufgezwungen. Wir begegnen unseren ärgsten Feinden, unseren tiefsten Ängsten, größten Herausforderungen, unseren wertvollsten Lieben und bevorzugten Vorlieben. Alles ohne Zweifel, ohne Bedacht und ohne Logik. Nur beherrscht vom eigenen Ich. Nackt, ohne den Mantel von Ethik oder Konsequenz.

Aber auch ohne Befangenheit, ohne Scham und Falschheit. Nur das pure Selbst. Ohne Schranken, alters- und zeitlos.

Jede Nacht aufs Neue kosten wir von der Freiheit, die uns eingeräumt wurde. Mal farblos, mal im bunten Surrealismus. Selten sich seiner Selbst bewusst. Aber immer Akteur.

Das Bild, das wir dabei von uns zeichnen, ist das ehrlichste was wir je erfahren werden.

Aufgewacht! Das ich hält Einzug. Der Wald verschwindet im Nebel aus Konsequenz.

Tag für Tag kehren wir in die wirkliche Welt zurück. Wie ein Insekt in einem Bernstein, sind wir wieder eingesperrt in unserer Befangenheit, Gelehrtheit, Ethik und Kultur. Wo ist sie hin, die Freiheit?

Tag um Tag verlieren wir unser Leben an die Realität.

Und dabei verrinnt unsere Zeit, zieht an uns vorbei wie ein Traum.

Dessen sind wir uns so bewusst, wie wir im Traum wissen, dass wir schlafen.

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Kurzgeschichte Mystery

Grenzland

Grenzland
© Dan Prescot

Ich liebe es an der schmalen Linie zwischen den Welten zu wandeln. Mich sanft über den Grad der Rationalität in den Surrealismus treiben zu lassen und die Gesetze in diesem vertrauten und doch stets verdrängten Reich auf die Probe zu stellen.

Es begann vor einer halben Ewigkeit. Inzwischen kenne ich den Wert dieses Wortes.

Ich war auf die Suche nach meiner Identität, experimentierte mit vielen Methoden. Bedenklichen, obskuren, lächerlichen und gefährlichen Möglichkeiten, um meine Bestimmung zu finden.

Ich tauschte mich mit Verbündeten aus. Wir waren die heimlichen Verschwörer, die jeden Tag nach den Strukturen der Welt suchten. Wir lasen die geheimen Bücher, spielten die verbotenen Spiele und waren in einer Subkultur zu Hause, deren Mitglieder einander erkannten, wenn sie sich begegneten.

Immer war einer von uns der Entdeckung seiner Bestimmung nah. Um dann tags darauf festzustellen, nicht den richtigen Pfad gefunden zu haben und alles sich wieder in dem flüchtigen Rauch der Illusion verlor.

Es war ein langer ereignisreicher Tag gewesen, dem eine sehr kurze Nacht vorausgegangen war. Dieser Abend endete wieder nach Mitternacht und ich beschloss, mit dem Ende des gelesenen Kapitels schlafen zu gehen.

Auf meinem Rücken liegend wurde ich daran erinnert, dass Vollmond war, denn mein Schlafzimmer war in ein unwirkliches Zwielicht getaucht. Jeder Gegenstand war zwar deutlich erkennbar, aber fremd und unwirklich.

Ich ließ meinen Blick vom Fenster über die dunkle Deckenlampe zur Tür, entlang der Wand zu meinem Nachttisch und der Lampe darauf wandern.

Jedes dieser Details kannte ich, hatte sie unzählige Male in derselben Weise betrachtet. Und doch, etwas war anders.

Mit diesem Gedanken schlief ich ein.

Und wachte wieder auf!

Suchte erneut das Fenster. Es war nur eine leichte Bewegung mit dem Kopf, mehr nicht. Wanderte dieselbe Strecke mit meinem Blick ab. Als ich den Kopf nach links neigte, sah ich es!

Ich erstarrte. Unfähig, auch nur einen einzigen Finger zu rühren. So sehr ich mich auch bemühte aufzuspringen und fortzulaufen, mein Körper wollte einfach nicht meinen Befehlen gehorchen. Selbst mein Kopf konnte sich nicht von der unwirklichen Szene abwenden.

Neben meinem Nachttisch hockte ein mannsgroßes Wesen! Es war soweit ich das sehen konnte, unbekleidet und dunkelrot. Aus seinem haarlosen Haupt wuchsen Hörner und hinter seinem Rücken, weit über seinen Schädel, konnte ich zusammengefaltete ledrige Flügel erkennen. An deren Spitze nach innen geneigten Krallen thronten.

Er hockte nur da und sah mich in vollkommener Konzentration an. Sein ebenmäßiges Gesicht war bar jeder Emotion. Nach einem nicht enden wollenden Zeitraum, hob er langsam seine rechte Hand und näherte sich damit meiner Stirn.

Mühelos, ohne dass ich irgendetwas spüren konnte, drangen seine Finger in meine Stirn ein!

Ich schrie voller Entsetzen!

Ich schrie aus Leibeskräften!

Und wachte wieder auf!

Ich blickte auf das Fenster. Es war eine kurze, heftige Bewegung mit dem Kopf, um zum Nachttisch zu sehen. Der Platz daneben war leer!

Erst jetzt setzte sich mein Körper in Bewegung und betätigte den Schalter der Lampe.

Das aufflammende Licht brachte Vertrautheit aber keine Sicherheit. Immer noch war ich nicht bereit, der Realität zu vertrauen, die einem solchen Wesen die Existenz verbot!

In dieser Nacht fand ich keinen Schlaf mehr und der Arbeitstag darauf war nur sehr kurz.

Ich konnte es nicht erwarten, das Erlebte mit meinen Vertrauten zu teilen. Wir sprachen lange über das Ereignis und die sich daraus ergebenen Möglichkeiten.

Noch immer fasziniert mich die Lebendigkeit, mit der dieser Traum vor meinem geistigen Auge auflebt, wenn ich mich erinnere. Seit dieser Zeit erachte ich keinen meiner Träume mehr als gering und versuche mich stets an das darin Erlebte zu erinnern.

Dabei liebe ich es, entlang der schmalen Linie zwischen den Welten zu wandeln. An dem Grenzland, wo wachen und träumen sich vermischen und alles möglich ist.