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Science Fiction

11.Kapitel -Aufbau-

© David Scholtissek

„….ich bin erfrischt und klar, Augen auf!“

Ich trainiere täglich, mehrmals. Meine Interessen haben sich gänzlich geändert. Ich manipuliere meine Träume genauso wie meine Umwelt. Meine Macht in beiden Welten wächst. Dinge fügen sich. Stehe ich vor einem Problem, bietet sich eine Lösung durch einen Hinweis oder eine Eingebung.

Aurora? Sie ist mein.

Nur mein Geist entzieht sich meiner Kontrolle. Ihre blasse Haut, ihre blauen Augen. Ich bemerke wie sich eine absurde Leidenschaft entwickelt, eine Manie.

Noch immer liege ich auf dem Bett, die Augen geschlossen.

Bestimme meine Position: Ich habe einen Punkt erreicht, an dem mir alles möglich scheint. Und doch geht es nicht weiter. Eine Barriere, ein Widerstand der den nächsten Dominostein am Fallen hindert. Und ich will wissen wer mein Geist ist.

Ich brauche Hilfe.

Schritte.

„Gehen wir heute ins Kino?“

„Nein, ich habe mich mit Hendrik verabredet. Wir wollen ein bisschen Quatschen.“

„Okay, wann gehen wir los?“

„Ähm, wir wollten uns zum Reden treffen. Du weißt schon, Männerkram…“

 „Ich dachte wir würden den heutigen Abend zusammen verbringen?“

Ich richte mich auf und Aurora kommt auf mich zu. Ich sehe Unsicherheit in ihren Augen aufflackern.

„Hey, Mädchen, wir wollen uns nur ein wenig über Astronomie austauschen. Wir gehen zu keiner wilden Party oder so.“

Ich lache leise und schaue sie amüsiert an.

Sie zögert mit ihrer Antwort und ich kann sehen wie sie mit sich ringt.

„…soll ich nicht mitkommen?“

„Schatz, du würdest dich langweilen.“

Ich weiß, dass sie nicht nochmal nachfragen wird.

 *

„Es ist Einflussnahme. Ich sehe den Weg, was ich sagen muss oder wie ich handeln soll, um ein gewünschtes Ergebnis zu erzielen.“

„Hm.“

„Es ist unglaublich. Ich mache mir klar was ich erreichen will und weiß genau wann und wie ich etwas tun muss.

Aber irgendwie, stockt es im Augenblick. Wie eine Wand hinter die man nicht schauen kann.“

„Ah ja? Schon eine Idee?“

„Ich weiß nicht. Es ist, als wenn ich kurz davor bin, die Lösung zu finden. Als wenn sie versteckt wäre.“

Hendrik lacht auf. Holt eine Zigarette aus seiner Jackeninnentasche. Zündet sie an und lacht immer noch.

„Herrlich! Ich wusste es wird interessant.“

„Was ist so witzig daran?“

Ich bin verärgert. Er weiß um mein Problem und lässt mich zappeln.

„Darf ich euch bekannt machen?“

„Häh?“

„Dein Widersacher!“

„Mein Widersacher…?“

„Ja klar. Überleg mal.“

„Ich verstehe nicht.“ 

„Du sagtest doch, es wäre versteckt. Versteckt oder verborgen. Na, klingelt da was?

„Ich meinte das metaphorisch. Es steht doch keine Präsenz dahinter, kein gerichteter Wille!“

Er lacht abermals auf. Lauter und eindringlicher.

„Meine Güte, bist du naiv. Deutlicher geht es nicht. Pass bloß auf das er dich nicht an deine Nase packt und dich draufstößt!“

„Hör auf in Rätseln zu sprechen. Rede im Klartext, verdammt nochmal.“

„Hey, brauchst ja nicht gleich beleidigt zu sein. Pass auf, weißt du warum du keinen Willen hinter der Barriere siehst? Warum du deinen Feind nicht hast kommen sehen?“

Er sieht mich erwartungsvoll an. Sucht nach Anzeichen von Erkenntnis in meinem Gesicht.

„Weil ich ihn kenne?“

„Weiter.“

„Er verbirgt sich?“

„Und du warst so gut, bis jetzt. Nein, er verbirgt sich nicht, hat er gar nicht nötig. Er kennt dich genau, kennt jede Schwäche, alle deine Ängste und hat eine ganze Kiste mit falschen Fährten, auf die er dich lockt.“

„Ich…verstehe… glaube ich?“

„Du, mein Freund stehst dir selbst im Weg!“

„Ich? Wie das denn?“

„Wieso glaubst du der Lösung so nah zu sein? Kannst sie scheinbar greifen?

Du kennst sie schon!

Was hindert dich, weiter zu kommen?

Du selbst bist das Problem.“

Ich versuche das gerade Gehörte zu begreifen.

„Dein Problem ist in dir. Erinnere dich an unser Gespräch. Du hast mich doch gefragt warum ich noch keine Million im Lotto gewonnen hätte. Da ist die Antwort! Etwas in dir will das nicht. Und halt dich fest: Es ist schlauer, schneller, besser und stärker als du!“

„Wenn das so ist, dann hat es doch keinen Sinn weiter zu machen. Das will ich nicht glauben!“

„Du hast wirklich keine Ahnung mit wem du es hier zu tun hast, oder?“ Denk an all die Macht die in der Vorstellung liegt. Sie heilt, sie macht krank, beflügelt zu Unglaublichem und sie tötet!

Und es ist ihr vollkommen gleichgültig was du glaubst, glaubst zu wissen oder tatsächlich für wahr hältst!

Das ist dein unsterblicher Teil!“

Ich habe eine Gänsehaut. Es fühlt sich so wahr an und doch klingt es so unglaublich.

„Mal angenommen es ist wie du sagst.“

Er lacht wieder, holt eine neue Zigarette aus seiner Jacke:

„Ja, mal angenommen…“

„Welchen Sinn soll es dann haben weiterzumachen? Wie will man etwas zwingen, was besser als man selbst ist?“

„Es ist Du! Wie überzeugt ein Schwacher einen Stärkeren?“

Ich zucke mit den Schultern

„Ich weiß nicht, wie?“

„Durch Manipulation!“

„Aha, und wie soll das gehen?“

„Habe ich eine Million? Du hast mir doch gerade erzählt, wie gut du es beherrscht. Mach was draus!“

Ich überlege, er hat recht. Mein Problem und bestimmt gibt es eine Lösung, die ich wahrscheinlich schon kenne.

„Da ist noch etwas, worüber ich mit dir reden wollte.“

Er nimmt einen Zug von der Zigarette und drückt sie aus. Dann sieht er mich an, wartend das ich beginne.

„Hm, da ist dieser Traum. Zu mindestens glaube ich, es ist ein Traum. Eine Fremde, ich kenne sie nicht und doch weiß ich um jeden Gesichtszug, ihr mitfühlendes Wesen, jeden Quadratzentimeter ihrer Haut. Ich könnte sie zeichnen so vertraut kommt sie mir vor.“

Hendrik nimmt eine weitere Zigarette aus seiner Jackentasche und zündet sie an. Dabei schaut er mich unentwegt an.

„Es wird immer interessanter. Beschreib mir genau und wirklich ganz genau, wie sie aussieht.“

-KAPITEL 10-                 -KAPITEL 12-
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Science Fiction

9.Kapitel -Der Magier-

© David Scholtissek

„Aurora sagt, du interessierst dich für Astrologie?“

„Na ja, nur am Rande. Meine Leidenschaft gilt mehr der Astronomie. Das ist nicht dasselbe. Astronomie ist eine Wissenschaft.“

„So? Und du meinst Astrologie nicht?“

„Natürlich nicht!“

Meine Empörung ist echt. Schließlich ist Astrologie sowas wie Voodoo Kram. Interessant aufgrund seiner Geschichte, aber Aberglauben. Er greift in seine Jacke und zieht eine Schachtel Zigaretten heraus, nimmt sich eine und bietet mir auch eine an. Ich lehne ab.

„Weshalb glaubst du, dass das keine Wissenschaft ist?“

„Na hör mal, was für eine Frage. Astrologie ist keine Wissenschaft, weil…“ Ich stutze einen Augenblick. Ja, weshalb nochmal nicht? Um Zeit zu gewinnen, nippe ich an meinem Getränk. Er zieht an der Zigarette und pafft den ersten Zug, lässt mich aber dabei nicht aus den Augen.

„Ja, weil…?“

„Nun, weil es nicht reproduzierbar ist! Man schaue sich nur die Vorhersagen in verschiedenen Zeitschrift an!“

Zufrieden mit meiner Antwort nehme ich einen weiteren Schluck. „Ja, wo doch jeder weiß, wie exakt die Astrologen der Tageszeitungen zu ihren Aussagen kommen.“

Ich bin verunsichert. Nimmt er mich gerade auf den Arm oder hat er mir zugestimmt? Worauf will er hinaus?

„Manni, machst du mir nochmal ein Bier?“

Ich lege die Jacken auf den Stuhl neben mir und ziehe den Stuhl neben Hendrik ein Stück ab und setze mich.

„Was willst du damit sagen?“

„Kennst du Tarot Karten?“

„Klar kenne ich Tarot Karten.“

„Mit den Karten kann man dasselbe erzielen wie mit einem astrologischen Diagramm. Man findet Antworten auf die gestellten Fragen.“

„Moment mal! In der Astrologie sollen meines Wissens doch Weissagungen oder Vorhersagen getroffen werden. Da werden keine Fragen gestellt.“

„Ach, dann ist die Frage nach der Zukunft also keine Frage?“

Er hat mich mit wenigen Fragen und fast keiner Aussage in die Ecke gedrückt.

„Ich sehe, du hast dir noch ein Bier bestellt.“

Aurora ist zurück und stellt sich neben unsere Stühle.

„Okay, es werden also bei beiden Themengebieten Fragen gestellt. Beide sind jedoch keine Wissenschaften! Sie sind nicht reproduzierbar und liefern keine exakten Ergebnisse.“

So, da finde mal eine Antwort drauf, denke ich noch bei mir.

„Nein, das ist nicht richtig.“

„Was ist nicht richtig? Dass sie keine exakten Ergebnisse liefern oder dass sie reproduzierbar sind?“

„Weder noch. Deine Aussage ist nicht richtig. Es sind Wissenschaften, sie sind reproduzierbar und ihre Ergebnisse sind exakt.“

„Jetzt komm aber! Du willst doch nicht wirklich behaupten, dass Tarot und Astrologie Wissenschaften sind, oder? Nicht zu vergessen die anderen beiden Gründe, Exaktheit und Reproduzierbarkeit.“

„Doch, genau das will ich sagen.“

„Schieß los, ich bin ganz Ohr!“

„Schauen wir zuerst mal, wann der Begriff Wissenschaft geprägt wurde. Im Mittelalter wurde die Alchemie Wissenschaft genannt und sehr viel früher war die Sterndeutung eine Wissenschaft.“

„Hey, da war der Begriff aber noch mit einem ganz anderen Verständnis belegt! Weder war da etwas reproduzierbar noch war das exakt!“

„Langsam! Erstmal geht es doch darum, den Begriff Wissenschaft abzugrenzen, oder? Zu den beiden anderen Begriffen komme ich gleich.“

„Okay, früher haben sie dazu Wissenschaft gesagt, aber sicherlich was anderes gemeint.“

„Natürlich meinten sie was anderes. Etwas viel Allgemeineres, Allumfassendes. Die Alchemie war der Grundstein der heutigen Chemie, nur umfassender. Es wurde nicht ein Vorgang beschrieben, sondern eine Handlung, der die geistige Einstellung des Handelnden und sein gesamtes Umfeld mitberücksichtigte. Jetzt sag mir nochmal, was wohl exakter ist, die heutige Wissenschaft, die die Vorgänge loslöst aus ihrer Gesamtheit, oder das, was man früher darunter verstand?“

Was soll ich darauf sagen?

„Jungs, seid mir nicht böse, aber ich würde gerne nach Hause.“

„Aurora, ich kann jetzt nicht gehen. Ich komme nach, ja?“

„Ich hatte es mir schon fast gedacht. Lass dir Zeit.“

Mit Auroras Abgang wende ich mich wieder Hendrik zu.

„Also, in der heutigen Wissenschaft ist es egal, wer den Versuch unternimmt, anhand der Versuchsanordnung ist das Ergebnis immer identisch und eindeutig!“

Hendrik drückt seine Zigarette aus und sieht mich den Rauch zur Seite blasend an.

„Stimmt, das bestreite ich auch nicht. Die Frage ist, was genauer ist. Die Versuchsanordnung, die in Grenzen gezwängt, immer das Gleiche suggeriert oder die Wissenschaft, die allumfassend alle Faktoren zu berücksichtigen sucht.“

„Ach, hör auf! Du willst mir doch nicht weiß machen, dass die Sterndeutung oder das Tarot Spiel alle Faktoren berücksichtigt, um mir eine Frage zu beantworten, die unmöglich vorherzusagen ist! So ein Quatsch!“

Hendrik fingert erneut nach seinen Zigaretten.

„Alles, was Einfluss auf das Ergebnis hat zu berücksichtigen, ist, zugegeben sehr schwer zu fassen. Aber ich glaube, das menschliche Gehirn ist zu erstaunlichen Dingen in der Lage. Aber dazu braucht es etwas, was heute kaum noch jemand beherrscht.“

„Da bin ich aber gespannt!“

Hennig lächelt.

„Instinkt.“

 „Wie, Instinkt? Gibt´s da auch eine Gebrauchsanweisung? Du kannst nicht einfach einen Begriff hinknallen und erwarten, dass damit alles geklärt ist.“

„Instinkt ist das Gebiet des Unterbewussten. Du nimmst erheblich mehr wahr als dir bewusst wird. Aber ein großer Teil wird einfach rausgefiltert, nur das Lebensnotwendige gelangt in deine bewusste Wahrnehmung. Was nicht bedeutet, dass die Information weg ist oder ..“

„Oder was?“

„..oder nicht verfügbar! Sie ist eben nur schwer zugänglich. Es erfordert viel Übung und ein gewisses Talent.“

„Ja klar und das hast du?“

„Nun, ich habe zumindest Übung. Das andere musst du selbst beurteilen.“

Ich bin überrascht.

„Du willst mir jetzt allen Ernstes verkaufen, dass du weissagen kannst?“

„Mit genügend Übung und einigen Zutaten, ein bisschen Talent kann das jeder.“

„Klar! Wie oft hast Du im Lotto gewonnen?“

Er lachte.

„Du glaubst gar nicht wie schön du ins Klischee passt!“

„Nein, komm schon. Wie oft hast du im Lotto gewonnen?“

„Vielleicht will ich gar nicht im Lotto gewinnen.“

„Woher habe ich nur gewusst, dass jetzt diese Antwort kommt?“

„Du hörst mir nicht richtig zu. Ich sagte vielleicht. Wenn du mich fragst, ob ich gerne eine Million gewinnen will, sage ich natürlich, dass ich gerne gewinnen will. Aber..“

„Jetzt kommt es!“

„Aber mein Unterbewusstsein verfügt eben über mehr Informationen und hat entschieden, dass ich besser keine Millionen bekommen sollte.“

„So ein böses Unterbewusstsein. Du weißt aber schon, dass das nach einer Ausrede klingt, oder?“

„Hast du es jemals selbst versucht?“

„Was, im Lotto zu gewinnen?“

„Ja, gewissermaßen. Was ich meine ist eine Vorhersage zu machen, nur aufgrund deines Bauchgefühls.“

Ich überlege, wirklich. Die ganze Situation ist so irreal. Da sitze ich mit einem Typen in meiner Kneipe, den ich noch nie vorher gesehen habe und lasse meine Freundin allein nach Hause gehen, nur um mit dem Fremden metaphysische Fragen zu diskutieren.

„Macht man das nicht immer? Mehr oder weniger, meine ich. Ich hoffe jedenfalls jedes Mal den Jackpot zu knacken.“

„Vergiss mal für einen Augenblick dein Lottospiel. Hast du nie das Gefühl gehabt, irgendetwas ganz sicher zu wissen und es trat danach genauso ein wie du es zuvor gesehen hast?“

„Du meinst so etwas wie ein Déjà-vu?“

„Nein, ich meine etwas ganz sicher zu wissen, was man nicht wissen konnte.“

Ich überlege wieder. In meinem Kopf spulen sich die ganzen Situationen ab, die er gerade beschrieben hat. Konnte er recht haben? Gibt es so etwas, kann es das überhaupt geben?

„Vielleicht.“ Räume ich ein.

Aus der Innentasche seiner Lederjacke holt er die Zigarettenschachtel und steckt sich eine weitere Zigarette an.

„Das kann man üben, weißt du? Versuch es mal.“

„Ich soll also orakeln üben?“

„Nur wenn Du es wirklich in Erwägung ziehst. Wenn du es ablehnst, funktioniert das nicht.“

„Hm, zu mindestens ist das eine Möglichkeit, dass nachzuprüfen. Es ist echt spät, ich denke ich sollte jetzt gehen. Ich werde es mal ausprobieren.“

„Ja sicher, mach das mal und berichte.“

Ich kann seine ganze Resignation heraushören. Er glaubt ich würde nach Hause gehen und das ganze Gespräch vergessen. Mein Interesse und mein Ehrgeiz sind jedoch geweckt.

„Mach es gut.“

„Ja du auch.“

-KAPITEL 8-                 -KAPITEL 10-
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Science Fiction

8.Kapitel -Die Morgenröte-

© David Scholtissek

Der Kaffee dampft in der Tasse, die ich mit beiden Händen umklammere. Ich stehe in der Küche am offenen Fenster. Am Horizont sehe ich wie eine rote Sonne aufgeht. Ich bemerke wie sie hinter mich tritt und ihre Arme um mich schlingt.

Perfekt! Der Augenblick ist einfach perfekt.

„Na, konntest du wieder nicht schlafen?“

„Nein, konnte ich nicht.“

Ihren Atem kann ich an meinem Nacken spüren. Ich drehe mich, um sie in meine Arme zu nehmen. Ihre Haare streichen über meine Schultern. In ihren braunen, fast schwarzen Augen verliere ich mich. Aurora.

„Derselbe Traum?“

Ich nicke.

„Ja, derselbe Traum.

Da ist diese Frau. Blaue Augen, wie der Himmel, glitzernd wie ein See. Blasse Haut kontrastiert mit den Schatten, zeichnen ein überirdische Wesen. Ihre Lippen. Und Ich weiß wie Ihr Kuss schmeckt. Sie ist traurig, nein sie trauert. Irgendetwas hat sie verloren.

Unstillbare Sehnsucht erfüllt mich.

„Ich mache mir einen Tee. Möchtest du noch einen Kaffee?“

„Nein.“

Sie löst sich aus meinen Armen. Ich schau ihr nach. Aurora macht mich glücklich. Wir harmonieren zusammen, ergänzen uns.

Warum nur diese Sehnsucht nach einem Gespenst?

„Denk bitte daran, dass wir heute Abend noch zu Franks Geburtstagsparty wollen.“

„Hm.“

„Komm schon, da sind noch andere Gäste. Du wirst das schon durchstehen.“

„Wird schon gehen. Ich mach mich mal fertig, muss zur Arbeit.“

Sie nimmt einen Schluck Tee aus der Tasse, mustert mich.

„So früh? Es ist gerade mal kurz nach sechs.“

„Dachte es wäre später.“

„War es sehr schlimm? Ich meine der Traum.“

„Er wirkt jedenfalls nach.“

„Er zieht dich runter. Wie lange geht das schon? Etwa ein halbes Jahr?“

Sie hat recht. Ich werde zusehends melancholischer. Ich zucke mit den Schultern.

„Vielleicht ist es Zeit sich Hilfe zu suchen?“

„Ich gehe kurz unter die Dusche, dann können wir ja frühstücken.“

Als das Wasser über mich läuft, werde ich wacher. Fast habe ich den Schatten aus der Nacht verdrängt.

*

„Hey, kannst du nicht sagen das es mir nicht gutgeht?“

„Oh, komm schon! Ich weiß echt nicht was du gegen ihn hast. Nur weil er ein Bekannter aus der Zeit vor dir ist.“

Sie hat recht. Ich mag ihn trotzdem nicht. Er ist ein Kommilitone von Aurora, außerdem ein Überflieger. Er unterstützt sie ziemlich oft und sie scheint das zu genießen.

„Okay, schon gut. Ich komme ja mit.“

Ich bin ein wenig müde. Es war sehr anstrengend bei der Arbeit und motiviert bin ich auch nicht gerade.

Aurora kommt ins Zimmer. Ihre dunklen Haare fallen zu beiden Seiten ihres Gesichtes über die Träger des gelbfarbenen Sommerkleides, dass eine Handbreit über ihren Knien endet. Flache helle Slipper, passend zu dem Kleid, bilden den Kontrast zu ihrem brünetten Schopf. Ein feines Lächeln umspielt ihre Lippen, dabei hält sie den Kopf leicht gesenkt.

„Ich verspreche dir das der Abend interessant wird.“

„Sag mir, habe ich dieses Kleid schon vorher an dir gesehen?“

„Das Kleid? Ich glaube nicht. Wie kommst du da jetzt drauf?“

„Ich weiß es nicht. Irgendwie…“

Eine Woge von widersprüchlichen Gefühlen tobt in mir. Einerseits baut sich eine Spannung in mir auf, andererseits erinnert mich die Farbe an meinen Geist. Ich versuche beides abzuschütteln.

„Du siehst hinreißend aus. Lass uns gehen. Was meintest du mit einem interessanten Abend?

„Lass dich überraschen.“

10 Minuten laufen wir zur Alten Marktstraße 1. Frank feiert in der Kneipe. Die Party läuft schon und die ersten Runden haben wir verpasst. Frank begrüßt uns überschwänglich. Wir folgen ihn zur Theke und nehmen unsere ersten Drinks in Empfang. Im Laufe des Abends kommen noch einige dazu. Es müssen an die 50 Leute anwesend sein und mein Verdacht, dass Frank aus einer wohlhabenden Familie stammt erhärtet sich. Wir unterhalten uns mit den Leuten recht angeregt über unterschiedliche Themen. Da hauptsächlich Studenten anwesend sind, wird viel über die Uni und Studienfächer geredet. Zu meinem Glück sind allerdings Einige in der gleichen Situation wie ich.

Nach einigen Stunden wird Aurora aufmerksam, als ein weiterer Gast auftaucht, Frank kurz begrüßt und sich an die Theke setzt.

„Ich will dich mit jemanden bekannt machen.“

Aurora geht um die Theke und setzt sich neben einen dunkelhaarigen, untersetzten Typ. Er trägt eine Lederjacke mit einigen Pins am Kragenrevers, eine schwarze Jeans, die an den Hosenbeinen umgeschlagen ist und schwarze Stiefel. Etwas verdattert folge ich Aurora und stelle mich neben sie. Mit gemischten Gefühlen beäugte ich den Typen und weiß nicht so recht wo ich ihn einsortieren soll.

„Hendrik, das ist Laurent.“

„Hallo.“ „Hey.“

„Als Frank mir erzählte das Hendrik heute auch kommt, dachte ich mir das ihr euch unbedingt bekannt mache.“

-Kapitel 7-                 -Kapitel 9-
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7.Kapitel -Transfer-

© David Scholtissek

„Ich traue Melissa nicht.“

„Wie gut kennst du sie denn? Hattet ihr vorher schon mal etwas gemeinsames unternommen?“

„Nein, meistens begegnen wir uns auf irgendwelchen Treffen oder Partys. Sie ist eine Bekannte von Sybille. Die spricht ständig von ihr.“

Die Idee mit der Hypnose hat etwas für sich. Andererseits kann das auch voll daneben gehen. Ein halbes Jahr lang haben Psychologen und Therapeuten versucht mein verkorkstes Ego wieder gesellschaftsfähig zu machen. Die Reaktion meiner Ärztin auf diesen Vorschlag kann ich mir gut vorstellen.

„Okay, Wir wissen nicht genug über Melissa, um ihr zu vertrauen. Anderseits ist sie diejenige, die auf eine Idee kommt, die mir Gewissheit verschaffen kann. Die einzige Frage, die sich stellt; wie wichtig ist mir die Antwort.“

Ellen starrt mich an.

„Nicht dein Ernst! Das kannst du nicht ernsthaft in Betracht ziehen!“

Ich antworte nicht. Ich schaue sie auch nicht an.

„Laurent, sag mir, dass das nicht dein Ernst ist.“

„Ellen, die ganzen Visionen, die offenen Fragen, die Ungereimtheiten…Es macht mich fertig. Das einzige was mich vor dem Abgrund bewahrt, bist im Augenblick du.“

„Oh mein Gott!“

„Du machst dir kein Bild.“

Ich kann nur noch flüstern.

„Das Kreischen von berstendem Metall, der Rauch, die Hitze der Flammen, der Schmerz…“

„Laurent, ich…“

„Ellen, ich merke wie ich den Boden unter den Füssen verliere. Erneut. “

„Und wenn du dir nochmal helfen lässt? Ich meine dir ging es doch gut am Anfang, als wir uns kennenlernten, oder?“

Ich lache, bis es mir im Hals stecken bleibt.

„Nein, das wird nicht helfen. Nicht für lange. Die Zweifel lassen alles wieder aufbrechen. Die kann mir kein Arzt oder Therapeut nehmen.“

„Du hast dich längst entschieden, oder?“

Die Antwort auf ihre Frage bleibe ich ihr schuldig. Ellen kommt zu mir rüber und schließt mich in ihre Arme.

Ja, ich habe mich längst entschieden.

*

„Wie soll das laufen? Holst du jetzt eine Taschenuhr raus?“

Melissa macht eine säuerliche Mine.

„Nein. Die Hypnose funktioniert nur, wenn du dich entspannst. Wichtig ist auch, dass du dich sicher fühlst. Meinst du, dass dir das gelingt?“

Ellen sitzt mir gegenüber. Sie ist nervöser als ich. Ich kann das bei ihr erkennen, sie sorgt sich. Meine Gedanken beginnen zu wandern. Der Tag, an dem ich sie traf, bis gestern, als mir klar wurde, wie sehr ich auf sie angewiesen bin.

„Kriegst du das hin?“

„Ja.“

Ein letztes Mal betrachte ich Ellen.

„Gut, setze dich ganz bequem hin.“

Schaue auf das Schattenspiel ihrer makellosen, blassen Haut.

„Lasse alle Gedanken los. Erzwinge nichts.“

Zeichne ihre Gesichtszüge nach.

„Schließe deine Augen.“

Ihr leuchtendes Haupt.

„Jetzt lass los.“

Ich treibe.

„Geh zurück. Eineinhalb Jahre. Du sitzt im Zug und siehst die junge Frau Aurora Engel. Hast du es?“

Ich sehe sie und nicke.

„Wo seid ihr?“

„Wir sitzen uns im Zug gegenüber. In drei Stationen müssen wir aussteigen.“

„Beschreibe was passiert“

„Wir unterhalten uns und lachen. Wir wollen in Bad Münder aussteigen.“

„Was ist mit dem Zug?“

BÄM!

-Kapitel 6-                   -Kapitel 8-
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6.Kapitel -Wicca-

© David Scholtissek

Melissa also. Sie wohnt in dem Stadtrandgebiet, Reherweg. Von Ellens Wohnung ca. 45 Minuten. Aber das Wetter ist gut und wir wählen den Weg an der Weser entlang. Ich brauche die Zeit, um einen klaren Kopf zu bekommen. Viel Schlaf haben wir die Nacht nicht bekommen und mein Kopf fühlt sich wie in Watte gepackt an.

Nachdem wir in der 3 Etage des Wohnblocks angekommen sind, öffnet Melissa die Wohnungstür. Satt einer normalen Etagenwohnung, die ich erwarte, eröffnet sich mir eine scheinbar bunt gemischte Wohnungseinrichtung. Die Luft ist mit schweren Düften aus Duftkerzen, Räucherwerk und Ähnlichem beladen. An den Wänden hängen Bilder und Tücher, die scheinbar aus irgendwelchen Fantasy Magazinen stammen. Andere stellen Symbole aus verschiedenen Kulturkreisen dar. Irische, Indische und Chinesische springen mir ins Auge. Die Wohnung wirkt chaotisch, ist aber penibel sauber und aufgeräumt. Bücher verschiedener Größen und Stielrichtungen verteilen sich an jeden erdenklichen Platz, ordentlich aneinandergestellt. Der Eindruck von Unentschlossenheit drängt sich auf.

„Schön, dass ihr gekommen seid. Andreas kann manchmal voll daneben sein. Setzt euch.“

Melissa macht einen aufgeregten Eindruck. Anders als gestern. Unbeholfen folgen wir ihr in die Wohnung. Während wir uns eine Sitzgelegenheit suchen, stellt sie Gläser und Flaschen mit verschiedenen Inhalten auf den Tisch.

„Ähm ja, ich habe verschieden Säfte und Wasser. Was möchtet ihr?“

„Ich nehme Wasser.“

„Für mich auch.“

Wir warten. Sie schenkt ein.

„Du hast gestern gesagt, du hast einen anderen Verlauf des Unglücks in Erinnerung?“

Ich nicke.

„Macht es dir etwas aus, mir zu erzählen wie deine Version aus der Erinnerung abgelaufen ist?“

Ich habe erwartet, dass sie mich dazu auffordert.

„In meiner Erinnerung bin ich schon aus dem Zug raus, als eine Explosion mich trifft.“

Melissa sieht mich konzentriert an, wartet darauf, dass ich fortfahre.

„Ich hatte den Türöffner gedrückt, der Zug stand, am Gleis und ich bin bis kurz vor der Unterführung gelangt. Dann traf mich eine Druckwelle und ich landete in der Unterführung.“

Ich spüre, wie Ellen meinen Arm drückt, zur Unterstützung.

„In dem Waggon saßen weitere acht Leute. Unter anderem die Studentin.“

Ich fixiere Melissa.

„Warum ist Sie nicht ausgestiegen? Ich meine, sie wohnte doch in Hameln. Das spricht natürlich dafür, dass meine Erinnerung falsch ist.“

„Aber das glaubst du nicht, richtig?“

„Ich habe keinerlei Erinnerung an eine Entgleisung. Wenn der Zug so schnell war, wie es durch die Zerstörung aussah, sollte da nicht Panik unter den Passagieren ausbrechen? Sollte nicht irgendjemand die Notbremse ziehen? Ich meine der Zug entgleiste im Hamelner Bahnhof!“

Ich merke, wie ich immer lauter werde. Um mich zu beruhigen greife ich zum Glas und nippe daran. Eine Kunstpause.

„Sind beide Versionen gleich stark in deinen Erinnerungen?“

„Nein, ich erinnere mich nur an die Variante mit der Explosion.“

„Ja stimmt, sagtest du ja. Weißt du, der öffentliche Teil der Katastrophe belegt eindeutig eine Entgleisung. Das habe ich nachgeschaut. Ich glaube nicht, dass irgendwo etwas anderes belegt wird.“

Melissa hält kurz inne.

„Da werden wir nichts Neues erfahren. Aber, es gibt jemanden, der genau weiß, was passierte. Einen Augenzeugen!“

Ich bin wie vor dem Kopf gestoßen. Noch jemand?

„Wer?“

„Du.“

„Komm schon! Was soll das werden? Ich habe ein echtes Scheißjahr hinter mir. Und jetzt kommst du und willst mir erzählen, ich muss nur genügend nachdenken, um die Lösung zu erhalten?“

Ellen steht auf und ist ziemlich angesäuert.

„Melissa, echt jetzt? Los, Laurent, lass uns gehen.“

„Wartet, was ich euch vorschlagen will ist eine Rückführung. Unter Hypnose.“

Ich zögere einen Augenblick.

„Hör zu, ich war ein halbes Jahr in Behandlung, um das alles zu überwinden. Vielleicht war es ein Fehler hierher zu kommen.“

„Ich verstehe das. Lass dir Zeit, denke in Ruhe darüber nach.“

„Was hast du davon? Warum hängst du dich da so rein?“

„Als du von deiner Geschichte erzählt hast, hat das mein Interesse geweckt. Ich habe von einem ähnlichen Fall gelesen, der mich sehr faszinierte.“

„Ja, nur dass das hier keine Geschichte ist, sondern mein Leben.“

-Kapitel 5-                   -Kapitel 7-
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5.Kapitel -Die Information-

© David Scholtissek

Ellen hat ihr Top gegen eine weiße Bluse getauscht und wir kommen doch noch zur Party. Auch die Party ist zu Fuß leicht zu erreichen. Von Ellens Wohnung in der Hunoldstraße, ein wenig abseits der Hamelner Innenstadt, sind es nur 15 Minuten zu der Wettorstraße, vor der wir stehenbleiben. Wir beide suchen die Nähe des Anderen, allerdings glaube ich aus unterschiedlichen Gründen. In meinem Fall gibt sie mir zusätzlichen Halt, weswegen ich mir ein wenig mies vorkomme. Schließlich haben wir gerade zusammengefunden und da soll ein anderes Gefühl im Vordergrund stehen und nicht reiner Eigennutz.

Ellen klingelt und eine quirlige Stimme fordert sie auf raufzukommen. Als wir die Haustür öffnen, können wir die Beats des Techno hören, die sich mit Gelächter und Gejohle vermischen. An der Wohnungstür wartet eine kleine, leicht Übergewichtige, deren lockigen, roten Haare sie wie eine Mähne umgeben. Als sie Ellen erblickt, quietschen beide auf und stürmen aufeinander zu. Nachdem sie sich begrüßt haben, stellt Ellen mich vor.

„Sybille, das ist Laurent.“

„Hi Laurent, ich bin Sybille. Kommt rein und mischt euch unter das Volk.“

Sybille und Ellen fangen an zu tratschen und gehen in das Wohnungsinnere. In der Küche sind die Getränke aufgebaut. Ein 20l Fass Bier steht auf der Küchenzeile und einige harte Getränke sind drum herum verteilt. Auf einem Tisch stehen Knabbereien. Die Beiden werden sofort von einigen Gästen vereinnahmt. Ich sehe ein Glas und versorge mich erstmal selbst, um nicht herumzustehen, mit etwas Wasser. Alkohol vermeide ich seit über einem Jahr, um die Anfälle nicht zu begünstigen. Danach bleibt mir nur die Gäste in der Wohnung zu mustern. Ab und an nippe ich an dem Glas.

„Du bist mit Ellen hier, stimmt’s?“

Neben mich hat sich eine Frau gestellt. Sie ist etwa Ende 20 und knapp 1,70m groß. Sie ist sehr dürr und hat kurze schwarze Haare.

„Ja, ich bin Laurent.“

„Freut mich Laurent, ich bin Melissa. Ich sehe dich heute das erste Mal. Na ja, Ellen und ich arbeiten in dem gleichen Cafe, deshalb kenne ich fast alle ihre Bekannten.“

„Hey ihr beiden Hübschen, verpasse ich hier gerade einen Flirt?“

„Hey Andreas, das ist Laurent. Er ist mit Ellen hier.“

„Mit Ellen?“

Er zieht eine Augenbraue hoch. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass er mich damit meint. Als wenn er versucht unseren Beziehungsstatus einzuschätzen. Er ist eine Handbreit größer als Ellen, beziehungsweise kleiner als ich. Seine Füße stecken in Boots und die weite schwarze Cargohose hängt ein wenig an der schmalen Hüfte. Der Oberkörper ist beeindruckend muskulös und passt aber nur mäßig zu der Gesamterscheinung. Seine braunen Haare sind strubbelig, was scheinbar gewollt ist und seine heitere Natur unterstreicht. Auch seine Gesichtszüge sind eher feminin fein und seine Augen sind hell und leuchtend. Um weiteren Fragen zu meiner Person oder der Beziehung mit Ellen zu vermeiden, lenke ich das Thema auf die Party.

„Nette Party, läuft hier oft so was?“

„Jep, ist ein bisschen Creepy, dass du danach fragst. Sybille hat die Wohnung vor etwa anderthalb Jahren bezogen. Aber sie ist selten allein hier und sucht mittlerweile wieder eine andere Wohnung. Sie meint hier ist es unheimlich.“

Andreas schaut mich mit gefurchter Stirn erwartungsvoll an. Ich komme seiner Aufforderung nach.

„Weshalb, spukt es hier?“

„Sicher hast du von dem Zugunglück hier im Bahnhof gehört? Das Mädchen, das damals unter den Verunglückten war, wohnte hier.“

Mir wird eiskalt und ich merke wie mein Puls in die Höhe schießt.

„Du meinst, die Frau hat hier in dieser Wohnung gelebt?“

„Hm, soviel ich weiß, studierte sie in Hannover, aber ja, hier war ihre Wohnung.“

„Was weißt du noch über sie?“

„Sybille weiß ein wenig mehr. Ihr Name war Aurora Engel und sie studierte in Hannover. Pendelte wohl täglich zwischen der Uni und ihrer Wohnung. Das ist, was ich weiß.“

Jetzt mustert mich auch Melissa.

„Stehst du auf Horrorgeschichten oder warum das rege Interesse an der Toten?“

„Nein, ich war in dem Zug.“

„Scheiße, nicht dein Ernst?“

Andreas blickt mich an als würde ich ein Geist sein.

„Du bist der, den sie aus den Trümmern gezogen haben? Der Zug muss noch irre schnell gewesen sein, so wie das auf den Zeitungsfotos aussah.“

Melissa kneift die Lippen aufeinander und erwartet meine Antwort. Ich überlege, was ich darauf antworten soll. Ich kenne zwei unterschiedliche Versionen. Mittlerweile bin ich davon überzeugt, dass die Variante mit der Explosion meiner Fantasie entsprungen ist. Aber diese Situation lässt mich wieder zweifeln. Wie wahrscheinlich ist ein solcher Zufall?

„Ich weiß es nicht mehr. Ich habe unterschiedliche Erinnerungen an das Unglück.“

„Du meinst, durch den Schock kannst du dich nicht mehr richtig erinnern was passierte?“

„Nein, ich meine, ich erinnere mich an noch ein anderes Unglück als in der Zeitung beschrieben.“

Melissa kneift jetzt neben ihren Lippen auch noch die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen.

„Schön, dass ihr euch schon kennengelernt habt.“

Ellen und Sybille schieben sich Arm in Arm in unsere Runde. Beide sind ausgelassen und genießen die Party sichtlich.

„Mensch Sybille, Laurent war auch in dem Zug. Wie das Mädchen, das hier in deiner Wohnung lebte!“

„Andreas, du bist ein Idiot!“

Melissa harkt Andreas unter und zerrt ihn von uns weg. Bevor sie in den nächsten Raum verschwinden, schaut sie über die Schulter und ruft:

„Ellen, meldet euch morgen unbedingt bei mir.“

Mit der Ausgelassenheit ist es erstmal vorbei. Ellen rollt mit den Augen und Sybille ist sichtlich pikiert.

*

Ich folge den Erhebungen und Senken ihres Halses. Den feinen Ästelungen ihrer Blutgefäße auf ihrer blassen Haut. Während ich mit meinen Fingern die Landkarte auf ihren Körper nachzeichne, geht ein leichtes Beben durch ihren Körper. Ihre Augen sind geschlossen und der Kopf ruht seitlich auf ihren hellen Haaren. Die Hände verweilen auf beiden Seiten neben ihrem Kopf.

„Du wusstest wer die Wohnung vor Sybille bewohnte?“

„Ja.“

„Es war auch kein Zufall, dass wir auf der Party waren?“

„Nein.“

Ich verharre an ihrem Bauchnabel und lege die flache Hand auf ihr Becken.

„Sybille wusste von mir?“

„Ja.“

Ellen öffnet die Augen und dreht den Kopf zu mir. Einige Momente schauen wir einander in die Augen.

„Ich wollte die Party abwarten. Danach hätten wir über die Sache sprechen können.“

„Hm. Warum hast du mich nicht vorher gefragt?“

„Bist du sauer?“

Ich horche in mich hinein. Bin ich sauer? Nein, ein wenig enttäuscht. Nicht, dass ich anders gehandelt hätte.

„Nein, eigentlich nicht. Ich fühle mich ein wenig überfahren, das ist alles.“

Ich streiche mit der Hand über ihre Haare, folge ihren Gesichtszügen, über die Wange zum Kinn.

„Was will Melissa, hast du eine Ahnung?“

„Nein, keine Ahnung. Aber es schien ihr wichtig.“

Sie dreht sich auf die Seite und stützt ihren Kopf auf den angewinkelten Arm, so dass wir uns anschauen.

„Wir müssen nicht zu ihr gehen, wenn du nicht willst.“

Ich sinniere, was ich gestern alles über die Unbekannte erfahren habe. Ihr Name ist Aurora Engel, sie wohnte in der Wettorstraße und sie studierte in Hannover.

Irgendetwas aber passt nicht zu den Informationen, die ich gerade zusammenfasse. Wenn sie doch in Hameln wohnte, warum ist sie nicht mit mir ausgestiegen? In dem Waggon waren acht Personen, neun mit mir. Aber ich bin sicher, dass ich als einziger das Abteil in Hameln verließ.

„Einen Cent für deine Gedanken.“

Einer Ahnung folgend:

„Ich denke wir sollten zu Melissa gehen. Es muss was bedeuten, dass ich damit nicht abschließen kann, dass ich immer wieder auf Details stoße.“

Ellen seufzt auf.

„Melissa weiß aber nicht mehr über die Sache als Sybille.“

„Wir können ja danach noch zu Sybille. Stört es dich, wenn ich kurz dusche?“

„Ich dachte, wir bleiben noch eine Weile?“

„Ich brauche ein Frühstück.“

„Ich kann schnell etwas machen.“

„Mach dir keine Umstände, ich lade dich ein.“

-Kapitel 4-                   -Kapitel 6-
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Science Fiction

4.Kapitel -Konvaleszenz-

© David Scholtissek

Mir geht es gut, wirklich. Die Therapie dauerte fast ein halbes Jahr und es half, dass ich in einer Einrichtung untergebracht war, weg von meiner Wohnung. Raus aus allem was mich runterzog.

Ich atme die noch kühle Luft des frühen Morgens ein. Dabei sitze ich auf einer Bank und schaue über den Talkessel zu dem gegenüberliegenden Waldrand. Hinter den ersten zartgrün austreibenden Bäumen erhebt sich die Sonne. Tiefes Orange erleuchtet den Himmel. Es ist nur eine Farbe.

Als das Farbenspiel am Himmel der intensiven Helligkeit des Tages weicht, erhebe ich mich und gehe auf meine Station zurück. Meine Sachen sind schon seit gestern gepackt und ich warte in meinem Zimmer, bis ich zur Entlassung gerufen werde.

„Herr Mertens, kommen Sie bitte? Lassen sie Ihre Sachen ruhig noch hier stehen.“

Ich folge der Schwester, die mich zu der Therapeutin bringt. Sie klopft an der Tür des Behandlungszimmer, welches ich in dem halben Jahr so oft besucht habe.

„Frau Dr. Volmer? Herr Mertens ist hier.“

„Herr Mertens, heute ist es also soweit. Wie geht es Ihnen?“

„Gut, danke.“

„Besprochen haben wir alles, mir bleibt nur Ihnen viel Erfolg zu wünschen. Sollten Sie das Bedürfnis verspüren, rufen Sie mich an, jederzeit.“

„Frau Doktor, ich danke Ihnen für die Hilfe und die Unterstützung, die ich hier erfahren habe. Ich denke, diesmal bin ich gut vorbereitet.“

Wir sehen einander in die Augen, eine Zeitlang.

„Ja, sind Sie. Das schaffen Sie. Einige Kleinigkeiten noch. Sie gehen dreimal die Woche zu Ihrem Therapeuten. Nach vier Wochen beurteilen wir die Notwendigkeit erneut.“

Sie sucht meine Bestätigung, ich nicke.

„Sie nehmen Ihre Medikamente. Für den Notfall haben Sie meine Nummer.“

Wieder eine Kunstpause. Ich nicke erneut.

„Wissen Sie, wie Sie zurück nach Hause kommen?“

„Ich rufe mir ein Taxi zum Bahnhof, ich komme schon klar.“

„Natürlich. Leben Sie wohl, Herr Mertens.“

„Leben Sie wohl Frau Doktor.“

Sie schaut mir nach. Ich kann es fühlen, obwohl ich ihr den Rücken zugedreht habe.

Der Zug wird die Feuerprobe für mich. Das weiß sie und das weiß ich. Noch bevor ich die Anstaltstür erreicht habe, habe ich mir das Taxi bestellt.

*

Sie lächelt mich an. Gar nicht schlecht, für einen Psycho. Also lächele ich zurück. Dreizehn Tage sind seit meiner Rückkehr in die Normalenwelt vergangen. Dreizehn Tage ohne einen Rückfall und jetzt flirte ich sogar. Ich bin in einem Cafe und frühstücke. Der Kaffee verfehlt seine Wirkung nicht und gibt mir zusätzliche Sicherheit. „Möchten Sie noch etwas?“

Eigentlich ist hier Selbstbedienung. Aber sie hat den Nachbartisch abgeräumt und war eben in der Nähe, lächelnd.

„Nein danke. Sehr aufmerksam.“

„Einfach rufen, wenn etwas fehlt.“

„Es würde helfen, wenn ich Sie mit ihrem Namen rufen könnte.“

Ellen, ich heiße Ellen.“

„Hallo Ellen, ich bin Laurent.“

„Hallo Laurent.“

Sie wartet. Ich fasse einen Entschluss.

„Ellen, hast du einen Kuli für mich?“

Während sie den Kuli von ihrem Blusenausschnitt fischt, nehme ich eine Papierserviette. Ich nehme den Kuli aus ihrer schlanken Hand und schreibe meinen Namen und die Handynummer auf die Servierte.

„Danke schön.“

Einen Augenblick zögert sie, bevor sie beides an sich nimmt. Ich blicke ihr noch bis zum Tresen nach. Den Rest Kaffee trinke ich stehend und verlasse das Cafe. Kurz hinter der Ladentür spüre ich wie das Handy vibriert

*

Ellen ist süß. Ich habe ihr nach einigen Dates von meinem Aufenthalt in der Anstalt erzählt. Zuerst war sie zurückhaltend, aber als sie den Grund erfragte, änderte sie ihre Haltung.

Ich bin auf dem Weg, um sie zu treffen. Später wollen wir zusammen auf eine Fete. Eine ihrer Freundinnen gibt die Party. Nach dem zweiten Schellen brummt der Türöffner und ich gehe in den dritten Stock. Wieder klopfe ich zweimal, ehe sie öffnet. Sie sieht atemberaubend aus. Weißblaue Leinenschuhe, enge Bluejeans, die ihre Figur und die schmale Taille betont. Ihre schulterlangen, blonden Haare fallen auf ein weites rotes Top. Blutrot. Sie ist hinreißend und betörend. Der Atem bleibt mir weg und ich suche Halt am Türrahmen. Meinen Blick kann ich dabei nicht von ihr lösen. Mir wird schwindlig und Ihr Lächeln verwandelt sich in Besorgnis.

„Laurent, was ist mit dir?“

Ich kämpfe die Panik nieder. Mein Schwindel wandelt sich in Übelkeit. Ich schließe die Augen.

„Einen Moment, ich brauche einen Moment.“

Nebenbei nehme ich wahr, dass Ellen mich in die Wohnung führt, zu einem Stuhl und sich besorgt vor mir hinkniet. Sie sagt nichts, schaut mich nur an und wartet darauf, dass ich bereit bin zu reden. Langsam bekomme ich mich in den Griff. Keine Vision, Gut!

„Entschuldige, ein kleiner Schwächeanfall. Du siehst atemberaubend aus, vielleicht war es ja das.“

Ihre Mine ändert sich nicht, immer noch blickt sie besorgt.

„Passiert dir das oft?“

„Nein, nicht in den letzten 6 Monaten. Davor allerdings war das anders.“

Sie legt eine Hand auf mein Knie.

„Warum also jetzt?“

„Es tut mir leid, irgendetwas an dir hat es ausgelöst.“

„Was war es, hast du eine Ahnung?“

„Ich glaube, es ist dein rotes Top. Es hat die gleiche Farbe wie…“

Ich kann die Erkenntnis in ihrem Gesicht sehen.

„Das wusste ich nicht. Ich hatte ja keine Ahnung. War es sehr schlimm?“

Einen Moment sprengt es mich wieder in die Vergangenheit. Dann reflektiere ich, dass es mir gelingt eine neutrale Position dabei einzunehmen. Zum ersten Mal seit der Therapie rede ich zu jemandem über das Unglück.

„Ich erinnere mich nur in Bruchstücken daran. Manchmal bekomme ich Visionen, weiß aber nicht, welche davon Erinnerungen sind oder welche Alpträume. Da waren eine junge Studentin und ein junger Mann. Ich erinnere mich auch an den Schaffner. Keiner der Drei hat überlebt. Manchmal sehe ich sie. In einer Person, im Spiegel, in einem Schaufenster. Es ist so real.“

Erst jetzt hebe ich den Blick und wage sie anzusehen. Dabei vermeide ich das Top zu fixieren. Als sich unsere Blicke treffen, nimmt sie die Hand von meinem Knie und streicht mir über die Wange. Es tut gut. Ich fasse nach ihrer Hand und halte sie an meine Wange gepresst.

„Danke.“

Jetzt lächelt sie wieder.

„Du sagst, das rote Top war es?“

In einer langsamen fließenden Bewegung löst sie ihre Hand von meiner Wange, fasst den Saum des Tops und zieht es über ihren Kopf. Dann lehnt sie sich nach hinten und stützt sich mit beiden Armen am Boden ab.

„Ist das besser so?“

„So war es nicht gemeint.“

„Das weiß ich, küss mich.“

-Kapitel 3-                   -Kapitel 5-
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Science Fiction

3.Kapitel -Die Fährte-

© David Scholtissek

Der Kaffee schafft Vertrauen. In die Realität. Ein Relikt aus einer Vergangenheit, als die Welt Regeln und Gesetze hatte. Ich blicke aus dem Fenster neben mir. Die Stadt füllt sich mit weiteren Arbeitern und Hausfrauen. Zielstrebig und emsig eilen sie ihrer Bestimmung zu. Den Duft und die Wärme auskostend, wandert mein Fokus. Weg vom Tisch mit dem Mahl, das fast unberührt auf dem Tablet steht, zu dem Tresen. Ein Stapel druckfrischer örtlichen Zeitungen. Ich kann die Headline erkennen. Der Jahrestag des großen Zugunglücks! Ich falle in das Bodenlose. Dann schaue ich auf das Bild neben der Headline und der Bildbeschreibung. Entgleisung des Pendlerzuges vom …..

Keine Entgleisung! Eine Explosion! Ich stehe auf und grabsche nach dem obersten Exemplar. Das Bild zeigt die Verwüstung, die die Explosion in dem Bahnhof hinterlassen hat. Den Rauch, der dem Flammenmeer folgte. Doch der Artikel beschreibt eine Entgleisung und deren Opfer. Das Bild will so gar nicht zu dem Text passen.

Meine Hände krallen sich in die Zeitung. Ich rieche den Rauch. Verschmortes Plastik, heißes Öl und versengte Kleidung, Haare und…

„He, die müssen sie bezahlen!“

Ich liege auf dem zertrümmerten Bahnhofsboden.

„Wenn Sie die Zeitung so zerknüllen, müssen Sie die bezahlen!“

Mein Kopf fällt zur Seite und ich blicke in die entsetzlich erstaunten, gebrochen Augen der Frau. So tiefschwarz und grauenhaft stumpf, dass ich lautlos schluchze.

„Haben sie einen Anfall oder sowas?“

Das Tiefschwarze saugt mich auf, beginnt mich aufzulösen. Das Nichts löscht mein Bewusstsein.

„Öffne deine Augen“

Vergessen

„Öffne deine Augen und sieh mich an.“

Das Löschen aller Bezugspunkte ins hier.

„Sieh her!“

Die verdammte Stimme meines Therapeuten. Irgendwann muss ich ihn angerufen haben.

*

„Wird es schlimmer?“

„Es wird realer.“

„Wie meinen sie das? Erläutern sie ihre Worte.“

„Ich habe sie gesehen. Heute.“

„Sie glauben, Sie haben sie gesehen?

„Ich habe sie gesehen!“

„Beschreiben sie mir, was Sie gesehen haben.“

„Ich ging durch die Stadt, nachdem ich Ihren Anruf bekam. Wollte in ein Cafe um etwas zu essen. Habe es nicht ganz geschafft. Plötzlich war sie da. Sie berührte mich an der Schulter. Deshalb weiß ich, Sie war da.“

„Und wenn sie sich vertuen, wenn…“

„NEIN! Jede Nacht, jede verdammte Nacht seit einem Jahr sehe ich ihr Gesicht! Durchlebe jede verfluchte Einzelheit. Ich weiß genau wie sie aussieht.“

„Was hat den Zwischenfall ausgelöst? Können Sie sich erinnern was Sie dabei empfunden haben?“

„Ja, ich fühlte mich am falschen Ort, ich war falsch. Ich gehöre nicht hierhin.

Ich gehöre nicht hierhin…“

„Wenn unser Verstand etwas nicht verarbeiten kann, leugnet er gerne. Bildet Wunschvorstellungen. Verstehen Sie was ich Ihnen damit sagen will?“

„Sie war da und ich habe sie gesehen!“

„In Ordnung. Lassen wir das fürs Erste. Was hat den Anfall im Cafe ausgelöst? Kurz bevor ich bei Ihnen eintraf, was geschah da?“

„Ich habe in der Zeitung den Artikel über den Jahrestag des Zugunglücks gesehen. In der Überschrift stand, dass es eine Entgleisung des Zuges war. Das war es nicht.“

„Nein? Was war es denn?“

„Mein Gott, wir haben das schon zigmal durchgekaut. Nur eine Explosion wäre in der Lage gewesen eine solche Zerstörung zu verursachen. Niemals war das eine Entgleisung!“

„Erklären Sie mir, warum das keine Entgleisung gewesen sein kann.“

„Sagte ich doch schon. Die große Zerstörung im Bahnhof.“

„Die ist durch die Entgleisung des Zuges entstanden.“

„Der Zug ist nicht entgleist. Wie soll ich denn aus dem Zug rausgekommen sein, in die Unterführung?“

„Sie wurden rausgeschleudert.“

„Meine Verletzung und die Verbrennungen. Wo sollen die bei einer Entgleisung herkommen? Die Brände, das Feuer, woher?“

„Durch die Entgleisung wurde die Oberleitung gekappt. 15.000 Volt Spannung waren auf der durchtrennten Leitung, als sie die Erde berührte. Sie waren einfach zu nahe dran. Die hohe Spannung und der Strom, der durch die Erde geleitet wurde, bewirkte eine Plasmaentladung. Die schleuderte Sie in den Tunnel und verursachte auch die Verbrennungen. Ein halber Meter näher und Sie hätten das nicht überlebt.“

„Und das Feuer? Wo kam das her?“

„Die Entladung entzündete die Trümmer des Zuges. Einige Waggons brannten völlig aus.“

„Neeiiiin! Ich glaube Ihnen nicht! Ich habe den Türöffner gedrückt, der Zug stand längst!“

Ich schlage hart mit der Faust auf den Glastisch. Wieder und wieder. Bis er bricht. Auch danach schlage ich noch zu. Irgendwas Kaltes trifft meinen Oberarm und meine Wut und Verzweiflung lösen sich in Gleichgültigkeit auf.

-Kapitel 2-                   -Kapitel 4-
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Science Fiction

2.Kapitel -Visionen-

© David Scholtissek

Die Anmut wird in Stücke zerrissen. Die Unterlagen der gelben Mappe wirbeln umher. Die Mappe selbst verwandelt sich in gelbe Flammen, die über die Hände an dem Oberkörper der jungen Frau hinaufzüngeln. Das Gesicht, das sich mir zuwendet, lächelt mich an. Die Flammen wandeln ihre Farbe in Karminrot, umrahmen ihr Gesicht. Dann verschwinden die Flammen und rotes Blut tränkt die Stellen des Körpers, die eben noch von Flammen umhüllt waren. Das Lächeln ist aus dem Gesicht gewischt und Erstaunen, Entsetzen und Angst entstellen die ebenmäßigen Gesichtszüge.

Wie ein Brausen, das immer weiter anwächst, zu einem Donnergrollen, um in das Brummen des Weckers überzugehen, zerplatzt der Alptraum an der Wirklichkeit. Schwer atmend öffne ich die Augen.

Nacht für Nacht zerren mich Alpträume in immer neue Varianten zurück an den Tag vor einem Jahr. Die Wunden sind längst vernarbt. Die Seele aber blutet weiter.

Die Füße aus dem Bett schiebend, setze ich sie vorsichtig auf den Boden. Kalt, gut, real! Ich knete die Schulter. Eine Angewohnheit, mechanisch. Vom Bett abstoßend bewege ich mich in Richtung Badezimmer. Das kalte Licht von der Baddecke zeichnet scharfe Schatten in den Raum. Mein Gesicht im Spiegel blickt mir mit dunklen Rändern und harten Kanten entgegen.

Dann schreit sie. Die Schatten fressen das Gesicht im Spiegel. Die Welt verschwindet, taucht in Rauch und Feuer und der Schrei gellt weiter in meinen Ohren. Will nicht enden. Gelbe und rote Flammen um mich herum.

Plötzlich Stille. Der Anrufbeantworter springt an und das Schrillen des Telefons verstummt.

Ich knie am Boden und ziehe mich mühsam am Beckenrand in die Höhe.

Als die Bandansage endet, vernehme ich die Stimme meines Therapeuten, der in hastigen Worten die heutige Sitzung absagt und auf nächste Woche verschiebt. Mir wird klar, dass ich den Tag, die Woche ohne Unterstützung rumkriegen muss. Kaltes Wasser hilft mir, ganz ins Jetzt zu kommen. Für Kaffee und Nahrung muss ich in den nächsten Shop. Also ziehe ich mich an und hoffe, dass mich keine weitere Vision erwischt. Als ich mir das Shirt überstreife, kann ich die Sonne über den Dächern aufgehen sehen. Flammendes Orange kippt ins Blutrote, ein Rechteck formt sich aus dem Sonnenkreis. Ich greife nach dem Fensterbrett. Greife zu, um den Halt nicht wieder zu verlieren, weder den physischen noch den psychischen. Dann reiße ich mich los und wende mich ab. Ich nehme die Schlüssel und fliehe aus der Wohnung.

*

Es ist früh und ich laufe durch die Stadt ohne Ziel. Ein Plakat preist ein herzstärkendes Mittel an. Das Bild eines lächelnden, älteren Mannes, mit einem mitten auf die Brust projizierten Herzens. Warum nicht links? Ich laufe an Schaufensterläden vorbei, mit Dingen, die ich nicht wahrnehme. Die ersten Menschen eilen zu ihrer Arbeit. Das sind die Menschen mit den niedrigen Einkommen, den härteren Jobs. In ein paar Stunden folgen die Besserverdienenden.

Ich arbeite nicht mehr, sinnlos. Eine Zeitlang half es mir. Ich konnte mich durch die Konzentration ablenken. Es drängte die Visionen zurück. Doch dann wurde es schlimmer. Jetzt rette ich mich von Sitzung zu Sitzung.

Diesmal nicht. Keine Sitzung. Ich bleibe stehen und mir wird bewusst was das bedeutet. Einige wenige Leute gehen an mir vorbei. Ich stehe fest. Ich stecke fest. Wie ein Fremdkörper in einer Welt, in die ich nicht gehöre. Panik steigt in mir auf. Ich suche nach einem Halt. Ich fange an mich zu drehen. Sehe mein Spiegelbild sich in den Schaufenstern wenden. In irgendeiner Spiegelung blitzt ein Licht auf. Das ist sie! Die Silhouette, das Gesicht. Das muss die Frau aus dem Zug sein. Jede Nacht sehe ich sie. Jedes Mal, wenn ich die Augen schließe. Nur ein weiteres Trugbild! Ich knicke ein. Eine weitere Vision. Ich schließe die Augen und presse die Hände auf die Ohren, obwohl ich weiß, dass es nichts nützen wird.

„Geht es Ihnen nicht gut? Kann ich helfen?“

Langsam sinkt mein Kopf in Richtung meiner Knie am Boden.

„Können Sie mich hören?“

Etwas berührt meine Schulter, nein Jemand.

„Können sie mich hören?“

Ich reiße meine Augen auf. Das ist sie! Nein, unmöglich! Ich suche Differenzen in ihrem Aussehen. Ich nehme meine Hände vom Kopf und versuche ihre Hände zu greifen. Die Angst in ihrem Gesicht, wie im Traum, meinem Alptraum. Sie muss die Antworten kennen! Gleich müssen die Flammen kommen. Ich schrecke zurück. Weitere Gesichter drängen sich in meine Wahrnehmung. Hände greifen nach mir, richten mich auf und fragen nach meinem Befinden. Sie wird zurückgedrängt. Ich versuche sie nicht in der anwachsenden Menge zu verlieren. Ein energisches Händepaar zwingt mein Gesicht, meinen Blick in ein fremdes Augenpaar.

„Sehen Sie mich an, ich bin Arzt! Können Sie mich verstehen?“

Ich suche ihr Abbild, vergebens. Mein Blick wird erneut in das fremde Gesicht gezwängt.

„Verstehen Sie mich? Verstehen Sie meine Sprache?“

„Ja, kann ich.“

„Geht es Ihnen wieder gut? Nehmen Sie Medikamente?“

„Ich bin in Behandlung. Nur ein kleiner Schwächeanfall. Alles wieder in Ordnung.“

Sie ist weg.

„Sind Sie sicher? Besser Sie gehen zu Ihrem Arzt oder in ein Krankenhaus.“

War sie jemals da?

„Nein, alles in Ordnung, es geht mir wieder gut. Ich gehe zu meinem Arzt.“

-Kapitel 1-                    -Kapitel 3-
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Science Fiction

1.Kapitel -Der Tagtraum-

© David Scholtissek

Ich betrachte den Zug, ohne ihn wirklich zu sehen. Das Wetter hat sich eine kurze Regenpause gegönnt, nur um weitere dunkle Wolkenbänke zusammen zu treiben. Der Tag hat kalt und feucht begonnen und nichts deutet darauf hin, dass sich daran etwas ändern wird. Noch etwa zwei Stunden, bis das Zwielicht des Tages der Dunkelheit der Nacht weichen wird.

Es steigt eine Gruppe von Leuten in den Zug. Mein Blick folgt ihnen. Das Innere des Zuges ist schon erleuchtet und den Fahrgästen, die verstreut in den Wagon sitzen, sieht man die Behaglichkeit der Abteile an. Einige haben noch ihre Berufskleidung an, andere sind auf dem Weg zu der nächsten größeren Stadt und wieder anderen ist anzusehen, dass sie verreisen.

Drei Minuten bis zur Abfahrt. Am Himmel zeichnet sich der nächste Regenguss ab. Ich nehme meine Tasche und richte mich von der Bank auf, froh ebenfalls in den trockenen, warmen Zug zu gelangen. Zeitgleich mit dem Betreten des Innenraumes setzt der Regen ein.

Ich gehe den Gang entlang zu der Bank, die ich für mich ausgesucht habe. Mit einem sanften Ruck fährt der Zug an. Es sind nicht viele Reisende in dem Waggon. Insgesamt mache ich weitere acht Personen aus. Einige lesen, andere blicken aus dem Fenster und zwei scheinen eingenickt zu sein.

Ich schaue auf die Kulisse, die immer schneller werdend an mir vorüber zieht.

In einem kleineren Ort erhasche ich einen Blick in eine Glasscheibe in einem Haus, an dem der Zug vorüberfährt. Es ist das Licht einer Straßenlaterne, das sich darin widerspiegelt. Das Bild bleibt in meinem Gedächtnis haften. Immer wieder spult die Szene in meinem Kopf ab. Längst haben wir die Stelle passiert und sind an dem Ort vorbei. Hartnäckig hält sich das Bild. Bald erkenne ich was, mich stört. In dem Bild aus meinem Gedanken vermisse ich das Original, das sich in dem Fenster spiegelt. Ich muss es Buchstäblich aus dem Gedächtnis gelöscht haben.

Nach einer Weile bemerke ich eine junge Frau im Gang schräg mir gegenüber. Ihre brünetten, langen Haare fallen zu beiden Seiten ihres Gesichtes auf die Seiten in einer gelben Mappe, die sie mit ihren schmalgliedrigen Fingern hält. Ein weiter Parka, der sie wie ein Kokon umgibt, sie einhüllt wie ein zerbrechliches Gut. Ihre Beine schauen eine Handbreit aus der weiten Stoffhose und enden in flachen Sneakers. Sie scheint versunken und sehr in die Lektüre konzentriert. Ich schätze ihr Alter auf Anfang Zwanzig. Mein Blick verweilt lange auf sie. Die Mappe sieht aus als wenn es Aufzeichnungen aus einem Studiengang sind. Ab und an kann ich eine Reaktion beobachten, die Missbilligung oder Erstaunen ausdrückt. Plötzlich senkt sie die Mappe und ich kann deutlich erkennen, dass sie zögerlich aus der Lektüre in die wirkliche Umgebung zurückkehrt. Sie scheint verärgert über die Störung. Ihr Blick hebt sich ein wenig und sie sieht mich direkt an. Ich blicke in dunkle, braune, fast schwarze Augen. Mir wird klar, dass ich die Ursache ihrer Unterbrechung bin. Durch meine Aufmerksamkeit habe ich bei ihr ein Unbehagen ausgelöst, welches sie in ihrer Konzentration stört. Wir blicken uns immer noch an und ich kann beinahe die Frage hören, die ihr auf den Lippen liegt. „Warum störst du mich in meiner Konzentration?“. Verlegen schaue ich zum Fenster. Mein Puls hat sich beschleunigt durch die Erkenntnis, wie unhöflich meine Neugierde ist. Habe ich doch sehr lange eine Unbekannte angestarrt und scheinbar unverfroren gemustert. Ich versuche abzuschätzen wie groß der Zeitraum wohl gewesen ist. Der Zug ist noch immer gut fünf Minuten vom nächsten Bahnhof entfernt. Die Fahrzeit beträgt etwa acht Minuten und ich habe schätzungsweise drei Minuten über das Phänomen mit der Spiegelung nachgedacht. Nein, das ist unmöglich! Wenn dem so ist, bleiben nur Sekunden, in denen ich auf die Frau aufmerksam geworden bin. Mein Zeitgefühl muss mich narren.

Irritiert suche ich wieder den Blickkontakt mit der jungen Frau. Sie schließt die rote Mappe gerade und bindet mit zwei losen Bandenden die offenen Seiten zusammen. Hat mir mein Zeitgefühl erneut einen Streich gespielt? Ich blicke aus dem Fenster. Nein, der Zug ist immer noch viereinhalb Minuten vom Bahnhof entfernt. Ich sehe wieder zu der Frau, die noch immer mit dem Verstauen der roten Mappe beschäftigt ist. Zwischendurch streicht sie sich ihre Haare aus dem Gesicht.

Es ist weder die Bewegung noch die Körperhaltung, die mich fesselt. Und doch hält mich ihr Antlitz in ihrem Bann. Dann lehnt sie sich zurück und blickt aus dem Fenster. Deutlich meine ich die Sehnsucht zu spüren, mit der ihr Blick die vorbei huschende Landschaft streift.

Innerlich kämpfe ich mit mir, ob ich sie anspreche. Meinen Blick zieht sie immer wieder magisch zu sich. Ich greife zu meiner Tasche und will aufstehen.

„Hallo, ist hier noch ein Platz frei?“

Ein junger Mann steht vor der Frau und spricht sie an. Ich blicke an seinem Rücken vorbei und warte auf die Reaktion der Frau. Sie blickt auf und lächelt den Mann an. Wieder streicht sie sich durch die Haare.

„Natürlich,…bitte“.

Der Mann setzt sich ihr gegenüber und stellt seine Tasche auf den Nebensitz. Die Frau tut es ihm gleich und besetzt den noch freien Platz neben ihr, mit ihrer Studientasche.

Ich lasse meine Tasche an ihren Platz zurückgleiten.

„Es ist ein scheußliches Wetter, aber der Regen hat auch etwas Beruhigendes, finden sie nicht auch?“

„Ich mag den Regen, aber ich mag es nicht nass zu werden“.

Der junge Mann lacht auf. Es ist ein ansteckendes Lachen. Das Lächeln der Frau wird ein wenig verlegen, dabei blickt sie kurz zu Boden und sieht dann den Mann wieder an. Ihre Finger spielen an dem Reißverschluss ihres Parkas.

„Hat man so etwas schon gehört? Ehrlich, ich mag es auch nicht durchgeregnet zu werden. Auch kenne ich niemanden, dem so etwas gefällt! Dabei habe ich gleich noch den ganzen Weg durch die Stadt vor mir“.

„Ja, bei dem Gedanken daran ohne einen Schirm durch den Regen zu müssen, wünschte man sich schon zu Hause zu sein. Ich hatte mir heute Morgen einen Schirm eingesteckt, aber ihn dann in der Uni vergessen.“

Der Mann wirft seinen Kopf zurück und lacht abermals. Diesmal fällt die Frau in das Lachen des Mannes ein.

„Dann kann man ja nur hoffen, dass der Regen aufhört und wir beide trockenen Fußes nach Hause kommen. Darf man fragen, was sie studieren?“

„Nun, eigentlich studiere ich nicht mehr. Ich habe heute meine Arbeit abgegeben und will jetzt die Ferien nutzen, um mal auszuspannen.“

Der Zug fährt in den nächsten Bahnhof ein. Ein Schaffner steigt ein und fängt an, bei den Reisenden die Fahrausweise zu kontrollieren. Als er bei der Frau und dem Mann ankommt, geht er, ohne zu zögern an den Beiden vorüber, um mein Ticket zu entwerten. Vielleicht liegt es daran wie ich seine Tätigkeit gemustert habe, so dass er glaubt einen Fahrgast ohne Fahrschein erkannt zu haben. Jedenfalls geht er anschließend, nachdem er sich vergewissert hat, dass alles ordnungsgemäß ist, ohne sich umzusehen oder anzuhalten durch das Abteil in das Nächste.

Der Zug hat wieder Fahrt aufgenommen und fährt weiter seinem nächsten Ziel entgegen, meinem Ziel. Das Gespräch der Beiden geht in der Geräuschkulisse des Zuges unter und ich treibe gedankenlos in den Eindrücken der vorbeihuschenden Motive jenseits des Zugfensters. Als die Geschwindigkeit sinkt, weiß ich nicht einzuordnen wie viel Zeit vergangen ist. Ich nehme meine Tasche und Jacke und gehe langsam zum Ausgang. Dort warte ich an der Ausgangstür, bis der Zug fast steht und drücke dann auf den Öffner. Der Button leuchtet rot auf und signalisiert, dass meine Anforderung bearbeitet wird. Sekunden nach dem Halt des Zuges öffnet sich die Tür und ich trete ins Freie. Ich überquere den Bahnsteig und strebe in die Unterführung, die unter die Gleise zur Bahnhofshalle hinabführt.

Meine Welt zersprengt in tausende Fragmente! Ohrenbetäubende Geräusche, huschende Bilder, sengende Hitze und verzerrende Bilder stürzen auf mich ein. Etwas Gewaltiges drückt mich vorwärts und wirft mich die Treppe hinunter in den Tunnel. Der Geruch nach Feuer und Rauch hüllt mich in eine dunkel werdende Welt.

*

„Hey, hey, bleib bei mir! Nicht wieder die Augen schließen!“

Gott, schmerzte meine Schulter! Nein nicht die Schulter, alles von der Schulter bis zu den Fingern.

„Gut, du hörst mich! Mach die Augen auf, komm schon, öffne deine Augen.“

„Gott, es tut so weh.“

„Ich weiß, ich weiß. Gleich kommt der Arzt. Alles wird gut.“

Der Rauch ist immer noch da. Er macht das Atmen schwer. Ich will meine Augen nicht öffnen. Die Hintergrundgeräusche dringen zu mir durch. Aufgeregte Rufe und Schreie sowie das Brausen von Flammen schlagen überdeutlich auf mich ein. Zu den Schreien und dem Prasseln mischt sich eine Sirene, noch eine, noch viele. Mein zersprengtes Weltbild fügt sich. Irgendetwas Furchtbares muss sich ereignet haben. Etwas, was mein Bewusstsein mit aller Macht von sich schiebt.

„Hier! Wir brauchen einen Arzt! Hierher!“

Jemand fasst an meine Schulter und ich bin wieder weg…

-REALITÄT-              -KAPITEL 2-